Stets kritisch

Stets kritisch

Sonntag, 1. Dezember 2013

Verordnung und Toleranz



Verordnung und Toleranz - Von Philipp Heine

Es ist verhältnismäßig leicht, einen Deutschen zu fangen und zu einem langen qualvollen Tod zu verurteilen: Man muss ihn nur zwischen einige Ampeln locken, die alle dauerhaft auf Rot geschaltet sind. Nach einer Woche wird man seine verhungerten Überreste bergen können. Weshalb ist das so? 

Die deutsche Seele ist erfüllt von Angst (ein Wort, das etwa die Angloamerikaner von uns als Lehnwort übernommen haben). Angst vor dem Verlust an Sicherheit und Gewohnheit. Neues, Fremdes und Risikobehaftetes gilt es abzuwehren, egal zu welchem Risiko. Entsprechend haben drei Institutionen einen festen Platz im teutonischen Kulturgut: Obrigkeit, Gesetz und Bunker. Speerspitze und Wächter dieser Angst, die sich im Positiven durch Sekundärtugenden, wie etwa Pünktlichkeit, Gehorsam und Genauigkeit äußert, sind die Beamten. Sie stellen sicher, dass Sicherheit und Ordnung Triebfeder des Lebens bleiben, nicht etwa Lebensfreude, Freiheit oder Neugier. Deutschland könnte nicht so etwas Unvernünftiges wie einen Ferrari konzipieren. Der einzige als solcher erkennbare deutsche Sportwagen war eine Folge nationalsozialistischen Größenwahns und hat sich seit dieser Zeit kaum verändert. Wer Dinge plant, die „cool“ oder auf Vergnügung ausgerichtet sind, wird sofort mit zwei Argumenten gestellt: 

    1.  Das Mutterargument: Kinder könnten zu Schaden kommen oder auf falsche Gedanken gebracht werden. 

    2.  Das Bildungsbürgerargument: So etwas (wie laute Motoren und Negermusik) ist proletenhaft und nicht der geistigen Elite Deutschlands würdig.
 
Nachdem Deutschland nur 12 Jahre gegeben waren, in denen die tiefsten seelischen Sehnsüchte ausgelebt werden konnten, kamen der Ami, der Tommy, der Ivan und der Franzose und machten alles kaputt. Doch sie gaben uns schlauerweise eine neue Obrigkeit. Und so ist (West-) Deutschland das einzige Land, das binnen kürzester Zeit eine humanistische Ethik übernahm. Amerika wundert sich immer wieder von neuem über die vergeblichen Versuche, solche Ergebnisse auch in Ländern wie Irak, Vietnam oder Afghanistan zu erzielen. Aber wie tief verwurzelt sind humanistische Ideale, wie etwa die Toleranz, in Deutschland und mit welchen Argumenten werden die Deutschen von ihnen überzeugt?
 
Sofort erscheinen zahlreiche Erinnerungen vor dem geistigen Auge: Ein schwarzafrikanischer Mitbürger durchquert den Raum, als sich Karl-Heinz zu mir herüberneigt und jovial raunt „Das ist aber ein schöner, und so gepflegt!“. Oder die resolute Dame mit Goldrandbrille und ergrauter Kurzhaarfrisur, die beim Anblick eines bärtigen Türken erbleicht und panisch nach einem zurückgelassenen Koffer Ausschau hält. Oder das weinende Jesuskind, das ansehen muss, wie zwei Männer sich küssen. Sehr interessant ist auch der Effekt, den Anglizismen im Gespräch mit Vertretern des konservativen Bürgertums haben können: Es folgt oft eine Tirade gegrummelter Verfluchungen, von denen nur das Wort „Multikulti“ deutlich vernehmbar ist.
 
All diese Begegnungen verstärken die Erkenntnis, dass Deutschland nicht wirklich stolz darauf ist, ein Schmelztiegel der Kulturen zu sein. Das Fremde wird nicht wirklich als Möglichkeit der Horizonterweiterung willkommen geheißen. Vielmehr scheint es Gehorsam der Obrigkeit und dem Gesetz gegenüber zu sein, die Toleranz zum zentralen Wert und zur Zierde macht. Wer mit weihevollem Brustton von sich behaupten kann, ein sehr toleranter Mensch in christlicher und preußischer Tradition zu sein, dem verzeiht man auch das Komma-Aber,  welches meistens folgt. Der Musterbürger hat seine Schuldigkeit getan und darf zurück an den Stammtisch.
 
Ich möchte nicht als undankbarer Nestbeschmutzer erscheinen: Seit der Gründung der Bundesrepublik haben wir eine lange Periode des Friedens, des Wohlstands und der nachhaltigen Rechtsstaatlichkeit erleben dürfen, was in den Augen von unzähligen Menschen ein ferner Wunschtraum sein dürfte. Ich fürchte nur, dass auch TV-Dokumentationen über die NS-Zeit im 15-Minuten-Takt keine Wirkung zeigen, wenn sich eines Tages eine völlig neuartige Obrigkeit anschickt, irgendeine Minderheit für politisch unkorrekt zu erklären. Deutscher Gehorsam, deutsche Ordnungsliebe und deutsche Effizienz werden die Minderheit– wahrscheinlich nur unter Protest – einer Lösung zuführen. Die Obrigkeit muss nur gerissen genug sein, auf braune Uniformen und Hakenkreuzfahnen zu verzichten. Wir können dankbar sein, dass die Fanatiker bislang geistig zu eingeschränkt waren, dies zu erkennen.
 
Die größte Hoffnung für dauerhaften Frieden in Deutschland besteht nach meiner Überzeugung in der Trägheit und dem Stumpfsinn der Spaßgesellschaft. Videospiele werden unsere Rettung sein.
 
Ich wünsche Ihnen einen geordneten und effizienten Tag!

Philipp Heine

Das Reservat der Kreativität



Das Reservat der Kreativität - Von Philipp Heine

Fast jeder Mensch, der älter als 10 Jahre ist, assoziiert mit Clowns und Pantomimen eher exzessive Gewalt, die entweder von diesen ausgeht, oder die man ihnen antun möchte, als die Erfüllung kreativer Ideale oder auch nur gute Unterhaltung. 

Dennoch gibt es in Deutschland junge Erwachsene, die vom rechten Weg abgekommen sind und magisch von Jonglage-Keulen und einer Zukunft in der darstellenden Kunst angezogen werden. Um anders und einzigartig zu sein, legen sie seit der sogenannten 68er-Revolution die unverändert gleichen Uniformen an: Strickmützen, Ballonhosen, Natoparkas und andere Bonmots aus der Second-Hand-Boutique. Zur Sommerzeit gibt es keinen Universitätscampus, wo sie nicht barfuß jonglieren und aus den neutralen Blicken der Passanten abzuleiten suchen, dass sie der Avantgarde angehören. Warum überwinde ich mein Fremd-Schämen und gaffe, wenn Menschen sich offensichtlich sehenden Auges um ihre wirtschaftliche Zukunft, um jeglichen modischen Geschmack und um ihr zukünftiges Selbstwertgefühl bringen?
 
Der schreiende Notstand auf deutschen Bühnen und in deutschen Filmen zwingt mich, nach einem Grund für das Totalversagen zu suchen. Wenn Till Schweiger und Veronika Ferres die Elite des deutschen Schauspiels sein sollen, wie abgrundtief schlecht kann dann nur der Rest sein?
 
Bei meiner Bestandsaufnahme möchte ich mit den Regisseuren beginnen. Ich will versuchen zu rekonstruieren, welche Elemente benötigt werden, um ein vollkommenes Schauspiel zu inszenieren:
Da Deutsche Tiefe brauchen und sich nicht mit angloamerikanischer Oberflächlichkeit abgeben, muss im Zentrum des Geschehens ein Antiheld stehen, der nicht schön, aber emotional sein muss. Sein Mut richtet sich nicht nach außen, sondern nach innen. Er wagt es also, seine Gefühle hinaus zu brüllen. Besonders effektiv ist es, eine starke Frau in den Mittelpunkt zu stellen, die ungeschminkt, überlegen und zugleich sensibel ist. Auch sie schreit ihre Gefühle hinaus, zieht sich dabei jedoch aus, da Scham und Konventionen transzendiert wurden. Als Provokation und Gegenpart braucht es den Tabubruch, der den kritischen Geist des Zuschauers wecken soll. Das Publikum wird mit dem Bösen, dem komplett Unerwarteten konfrontiert: Anstelle der erwarteten Landsknechte rennen schreiende Angehörige der SS auf die Bühne, die in reinem Schwarz gehalten ist, um den Fokus auf die reine Botschaft zu legen. Unter lautem Geschrei wird die nackte Frau von den Nazischergen ins Off gezerrt. Würde Goethe in der kritischen Postmoderne leben, er hätte es genauso gemacht. Da schreiende Nazis nach 50 jähriger Tradition gelegentlich nicht überraschend genug sind, kann als Alternative das Ministerium für Staatssicherheit oder – wenn es lustig sein soll – ein homosexuelles Pärchen einspringen. Grundlegend ist, dass das Ziel einer schauspielerischen Darbietung nicht die Unterhaltung des Publikums, sondern die Unterrichtung sein muss. Dafür ist traditionell die Theaterbühne am besten geeignet. Der Film ist nur eine moderne Perversion, eine Konserve, die auf das Konto der Amerikaner geht. Wenn man also einen Film machen muss, dann hat er den Gesetzen der Bühne zu gehorchen. Was nicht dem bürgerlichen Bildungsideal entspricht, gewinnt keine öffentlich-rechtlichen Preise und könnte die Jugend verderben. Die kreative Freiheit ist sehr wichtig, also hat man sie zum Eigenschutz strengen Regeln und Kontrollen unterworfen, die hier und da sogar überparteilich und werbefrei sein können.
 
Die Schauspieler lernen schnell, dass sie untauglich für die normale Welt sind und müssen sich sklavisch fügen, um engagiert zu werden. Brechen sie die Regeln gibt es nur zwei Wege: Bei Erfolg geht es vielleicht nach Hollywood, bei Mangel an Talent führt der Weg mit den Stationen „Verbotene Liebe“, Musical und schließlich „Dschungelcamp“ steil nach unten in die Hölle.
 
Doch am Horizont zeichnet sich ein fahler Lichtschein ab. Die Bühnen kommen in Bewegung. Und diese Bewegung kommt aus einer unerwarteten Ecke. Nach der deutschen Wiedervereinigung fiel die Angst vor dem atomaren Inferno von den Menschen ab, und sie entdeckten, dass auch Deutsche einen Humor haben können, der ohne Uniform und Narrenkappe auskommt. Noch in den 80ern war es unmöglich gewesen amerikanische Komödien zu übersetzen, ohne Pointen durch unlustige Gedichtchen zu ersetzen. Doch dann erschienen Darsteller, die sich nicht mehr Komiker, sondern Comedians nannten. Doch dem intellektuellen Bürgertum sind letztere nach wie vor suspekt, da sie mit Anglizismen um sich werfen und nicht die bewährten Regeln der anspruchsvollen Lustigkeit einhalten. Diese Regeln sind denen des regulären Schauspiels eng verwandt und werden greifbar, wenn man das politische Kabarett betrachtet: Schreiende Männer mit verstellten Stimmen müssen Politiker imitieren, politische Aussagen überbetont herausbrüllen und dürfen nicht einmal davor zurückschrecken, Wortspiele mit den Namen der Politiker zum Besten zu bringen. Obligatorisch ist auch die Jazz-Untermalung. Um zu zeigen, dass das klassische kulturelle Repertoire vorhanden ist, muss auch hier und da ein politischer Jazz-Chanson gesungen werden. Auch hier gilt: Belehrung ist wichtiger, als Belustigung.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es nicht leicht sein wird, darstellende Kunst aus deutschen Landen zu einem emotionalen Vergnügen zu machen, so lange die Darsteller zwischen Kopflastigkeit und politischem Klassenkampf der 68er Jahre gefangen sind. Manchmal gelingt jedoch auch hier ein Glückstreffer. Allerdings nur, wenn es thematisch um die NS-Zeit, die DDR-Zeit oder um eine Beziehungskomödie geht, an der ein schwules Pärchen beteiligt ist.

Ich wünsche uns allen, dass wir den Mut aufbringen zu sagen, dass wir amerikanisch- oberflächliches Entertainment super finden.

Philipp Heine

Samstag, 19. Oktober 2013

Ist teure Wohnraumgestaltung eine Überraschung?



Ist teure Wohnraumgestaltung eine Überraschung? - Von Philipp Heine

Ich möchte Sie zu einem Gedankenexperiment einladen. Ich stelle mir folgende Umstände vor: Ich bin ein Mensch der europäischen Spätantike, der erzkonservativ ist, über unbegrenzten Reichtum verfügt, fromm und homosexuell ist. Leider werden all meine Eigenschaften nicht von der Gesellschaft akzeptiert. Was tue ich? Die Lösung ist einfach: ich gründe eine Sekte.
 
Damit diese religiöse Gemeinschaft es mir ermöglicht, meine Neigungen voll ausleben zu können, muss sie spezifischen Regeln und Ansprüchen genügen:
 
Die Leitung und Durchführung der internen Abläufe ist ausschließlich auf Männer beschränkt, wobei Frauen als  Logistiker integriert werden, um diese nicht gegen die Gemeinschaft aufzubringen. Findet sich jedoch eine Frau, die zu viele Fragen stellt, wird sie kriminalisiert und beseitigt.
 
Alle Mitarbeiter bekommen Kleidung, die sowohl Vertreter der Fraktion anspricht, die auf Frauenkleidung steht, wie auch jener, die Uniformen bevorzugt.
 
Es werden Institutionen gegründet, in denen Knaben die Möglichkeit haben, sich an diese Kleidung zu gewöhnen, mit glockenheller Stimme zu singen, altgriechisch zu lernen und zu verinnerlichen, dass Züchtigung und Fehlverhalten zusammengehören.
 
Um den Geschmack der Mitglieder zu bedienen, würde ich einen eigenen Stil entwickeln, der viel Gold, Fleisch und Bestrafungsformen enthält. Diesen würde ich „unregelmäßige Perle“ nennen (ital. Barocco).
 
In diesem Stil wäre auch die Zentrale der Sekte gehalten. Um diese vor Neugierigen zu schützen, würde ich sie mit einer Mauer umgeben und von Männern in Harlekinkleidung mit langen Spießen bewachen lassen.
 
Die gelebten Neigungen würde ich unter dem Begriff „Heiliger Geist“ zusammenfassen und an die Seite von Vater und Sohn stellen.
 
Als Logo für die neue Sekte bietet sich ein Instrument aus der Sado-Maso-Szene an, da es sowohl Macht wie Gehorsam repräsentiert.
 
Eine perfekte Spielwiese!
 
Ich stelle mir aus aktuellem Anlass eine Frage: Wie wäre es zu beurteilen, wenn im  21. Jahrhundert ein Mitglied der Führungsebene genau dieser Sekte, eine außergewöhnlich große Summe Geld, über die er unkontrolliert verfügen kann, für Wohnraumdesign – etwa eine geräumige Badewanne, oder einen Flaschenzug im Wohnzimmer, mit dem schwere Lasten, etwa ein Adventskranz, an die Decke gezogen werden können -ausgibt?
Ich denke, dass es genauso naiv wäre, sich darüber zu wundern, wenn das Geld für einen privaten Frisiersalon, ein Ballettensemble, Damenschuhe von Zalando oder eine Statuengruppe der Village People (im Mittelalter unter dem Namen der Quatuor Coronati als Heilige verehrt) ausgegeben worden wäre. Die Ausgabe erfüllte lediglich die Grundansprüche der Glaubensgemeinschaft.

Kritik an diesem Verhalten wäre dumm und sinnlos!

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

Philipp Heine

Montag, 30. September 2013

Veggie-Day – Realpolitik erklimmt neue Höhen



Veggie-Day – Realpolitik erklimmt neue Höhen - Von Philipp Heine

In unserer politisch korrekten Oase Deutschland erscheint ein neuer Stern der Vernunft am Firmament: Der Veggie-day. Angesichts der Heerscharen von Mitbürgern, die für ihr Gewicht zwei Meter zu klein geraten sind, scheint der Vorschlag, all jene, die auf die kulinarischen Genüsse des Kantinenessen täglich angewiesen sind, an einem Wochentag per Dekret auf vegetarische Schonkost zu setzen, einleuchtend. Auch das Argument, dass Fleischverzehr – wie eigentliche alle Äußerungsformen der modernen Gesellschaft und des Wohlstands – klimaschädlich sei, lässt den nach Ängsten süchtigen Deutschen wenigstens kurzfristig nicken.
 
Nun ist es aber so, dass verschiedene Erfahrungen in meinem Leben, die ich im Umgang mit der vegetarischen Küche und ihren oft streitbaren Vorkämpfern gemacht habe, gewisse Alarmglocken erklingen lassen und mich zu einem kritischen Innehalten zwingen.
Ich möchte diese Erfahrungen kurz skizzieren:
 
Fast jede gemeinsame Mahlzeit mit Vegetariern und erst recht mit jenen modernen Märtyrern, die sich Veganer nennen, führte zu einer deutlichen Verschlechterung des Genusses und des Wohlbefindens. Nahm ich Fleisch zu mir, fühlte ich mich – meist zu Recht – einem zeigefingerwedelnden Blick ausgesetzt, dessen einziger Zweck die Erzeugung von schlechtem Gewissen war. In vielen Fällen blieb auch eine Belehrung nicht aus, die entweder pädagogisch wohlwollend oder offen feindselig ausfallen konnte. Unter diesen Bedingungen büßt selbst das beste Filetsteak einen Großteil seiner normalerweise herrlichen Wirkung ein. Entschied ich mich hingegen, der vegetarischen Küche eine Chance zu geben, so sah ich mich regelmäßig mit Variationen von Tofu, Bratlingen, Germknödeln, Aufläufen oder den Beilagen eines normalen Hauptgerichts, dem der Höhepunkt abhandengekommen war, konfrontiert. Wäre ich eine Frau, hätte ich freudig in die Hände geklatscht und gerufen: „Oh schön, es ist nicht zu mächtig!“. Ich bin aber keine. Entsprechend wird es kaum überraschen, dass eine Mehrheit dieser Versuche mit der Gewissheit endete, dass das Schnitzel mit Pommes sogar dann besser gewesen wäre, wenn ein Veganer beim Verzehr zugeschaut hätte.
 
Wenn ich mich also empathisch in die Kantinenkunden hineinversetze und mir vorstelle, den Rest meines Arbeitslebens damit zuzubringen, einmal pro Woche eine gesetzlich verordnete Enttäuschung zu erleben, dann beginnt die Genialität der Idee „Veggie-Day“ in meinem Kopf zu bröckeln.
Derart emotional aufgewühlt drängt sich mir die Frage auf, wie eine solche Idee entstehen konnte.
 
Urheberin des Projekts sind – wie könnte es auch anders sein – die Grünen. Bei den Grünen handelt es sich um eine Wellness-Partei, die es besonders Studenten, Lehrern und Jüngern der 68er-Bewegung ermöglicht, sich stets im Recht zu fühlen, indem sie alles, was schädlich, ungesund und politisch inkorrekt erscheint kategorisch ablehnt. Zu diesen Dingen zählen etwa Infrastruktur, Verkehr, Verteidigung und moderne Technologien. Grundsätzlich zweifelhafte Dinge abzulehnen ohne tragfähige und finanzierbare Alternativen anzubieten, macht die Grünen moralisch nahezu unangreifbar. Die einzige Alternative, die die Grünen seit jeher anzubieten hatten, waren die alternativen Energien, die nun aber leider zum Allgemeingut geworden sind. Damit die konzeptionelle Planlosigkeit der Partei nun vor der Bundestagswahl nicht zu einer Entzauberung führen könnte, brauchte es etwas Beherztes und Handfestes: Den Veggie-Day.
 
Warum mache ich mir nun die Mühe, dieses politische Kleinod zu kommentieren?
 
Die Antwort wirft ein düsteres Licht auf meine Person: Ich bin bekennender Fleischesser, Raucher und Autofahrer.
Seit der Nazi-Zeit haben die (meisten) Deutschen zu Recht gelernt, dass es verwerflich ist, einen Menschen aufgrund seines Geschlechts, seiner Religion oder ethnischen Herkunft zu diskriminieren. Es ist anzuerkennen, dass die Grünen stets eine politische Speerspitze dieses Lernprozesses gewesen sind. Tragischer Weise hat das Trauma des Dritten Reichs auch zu Scheuklappen geführt, die Diskriminierung ausschließlich mit den genannten Unterscheidungsmerkmalen in Verbindung bringt. Die Diskriminierung  und Ausgrenzung von Fleischessern, Rauchern und Autofahrern ist politisch völlig korrekt. Ironischerweise tun sich die sonst so integrativen Grünen hier als Hauptakteure hervor. Rauchen, Fleischessen oder Autofahren ist nur dann tragbar, wenn eine Behinderung, ein Migrationshintergrund oder eine religiöse Einstellung als Begründung herhalten könnte. Leider trifft nichts davon auf mich zu.
 
Ich finde es mehr als Bedenklich, dass in der Politik Deutschlands und Europas eine Tendenz spürbar wird, die zu einer ängstlichen und wohlmeinenden Bemutterung der Bürger führt. Wie ein kleines unmündiges Kind will uns die Übermama Regierung per Gesetz dazu zwingen, stets vernünftig und gesund zu leben. Alles was man tut, wird daraufhin analysiert, ob dabei kleine Kinder zu Schaden kommen könnten. Leider wird darüber vergessen Kita-Plätze zu finanzieren und ein einheitliches Schulsystem einzuführen.
Es zeichnet sich also ab, dass in kleinen und kaum merklichen Schritten die Freiheit und Mündigkeit der Bürger eingeschränkt werden. Ich könnte mit weniger Freiheit zum Wohle aller gut leben, wenn es sich nicht dummerweise bei den verbotenen Dingen genau um die handelte, die das Leben lebenswert machen. Ich bin überzeugt, dass auch Vernunft in Maßen genossen werden sollte.
Ich bin übrigens sicher, dass am Veggie-Day wie aus dem Nichts plötzlich Imbiss-Wagen vor allen Kantinen erscheinen und den Umsatz von Fleisch aus der Massentierhaltung in die Höhe treiben werden. 
 
Ich wünsche Ihnen allen einen guten Appetit!

Philipp Heine

Deutschlounge – Ein Wintermärchen



Deutschlounge – Ein Wintermärchen - Von Philipp Heine

Einst, als ich noch kindlicheren Gemüts war und die Welt groß und bunt, nur getrübt von Schlaghosen, weiblichen Achselhaaren und unrasierten Männern mit beängstigenden Frisuren, da sah es in deutschen Wohnungen und Gaststätten noch anders aus. Deutlich stachen die Anzeichen ins Auge, die die Anwesenheit eines mächtigen Alphamännchens und Jägers markierten: Keine verzärtelte Kiefer, sondern teutonische Eiche gab den Ton an. Gelegentliche Geweihe und röhrende Hirsche an den Wänden warnten vor geübter Überlegenheit im täglichen Überlebenskampf. Zinnteller mit alten Stadtansichten machten unmissverständlich klar, dass das mittelalterliche Feudalsystem hier noch gelebt wurde. Die Gaststube, die nichts anderes war, als das erweiterte Wohnzimmer der kampferprobten Recken, zeigte sich in gleichem Kleide.
 
Auch wenn die Welt schleichend von einer neuen Generation unterwandert wurde, die IKEA-Möbel kaufte und zu weich war, die Macht vom Vater zu übernehmen, gab es Rituale, die die sich gegenseitig mehr und mehr misstrauenden Generationen an einen gemeinsamen (Eichen-) Tisch führten: Rauchen, Saufen und Schwadronieren. Drei Grundpfeiler der deutschen Kultur, die den Zusammenhalt der Volksgemeinschaft garantierten. (Das Schießen fiel alliierter Übermacht zum Opfer.) Entsprechend konnte man diesen Tätigkeiten überall nachgehen. Selbst im Fernsehen oder im Kino gehörten Bier und Zigarette zum guten Ton.
 
Das Bild der deutschen Lebenswelt hat sich seither gewandelt. Jene alten Vertriebenen, die über das zugefrorene Haff den roten Horden entkamen, sind weggestorben. Heute bin ich ein Vertriebener, allerdings mit Schuhen und Mantel. Täglich stehe ich draußen, in Wind, Regen und Schnee, und blicke –verträumt frierend und an meiner Zigarette ziehend – zurück in den warmen Schankraum oder das Wohnzimmer, in denen Rauchverbot herrscht. Der meditative Charakter, den dieses kurze Exil hat, verschaffte mir neulich einen wunderbaren Moment der Klarheit. Ich erkannte, wohin sich Raumgestaltung und Gesellschaft in Deutschland wandeln: Zu einer Lounge.
 
Vor Tine Wittler kannten nur all jene Deutschen diesen Begriff, die regelmäßig auf Geschäftsreisen waren. Heute entspricht „Lounge“ dem, was vormals Renaissance oder Gotik hieß. Es handelt sich um eine Stilform, die gestalterisch das Wesen der Gesellschaft spiegelt.
Auf den ersten Blick besteht die Lounge aus einem Raum, der mit stiltypischen Farben, Materialien, Einrichtungsgegenständen und Dekorationen ausgestattet ist. Zu diesen zählen warme, oft erdfarbene oder rote Wandfarben, Möbel und Bodenbeläge aus dunklem Tropenholz, wenige pointierte Dekorationselemente, die gern in goldener Farbe gehalten sind und Worte oder kurze Sinnsprüche, die als dezenter Kontrast auf die Tapete aufgebracht sind.
 
Zusammengefasst ist eine Lounge die wärmste Form von Sterilität, die mir bislang begegnet ist. Edles Material trifft auf aufgeräumte Ordnung und unaufdringliche Verzierungen, die den Blick für einen kurzen Moment erfreuen. Nichts stört oder provoziert eine Reaktion, die die Raumgestaltung in den Fokus der Wahrnehmung rücken würde. Alles ist nett, aber neutral.
Wie kommt es, dass ein solcher Stil, der augenscheinlich bestens für Flughäfen oder Hotels geeignet ist, Einzug in deutsche Wohnungen und Gaststätten, die Tempel der deutschen Seele,  gehalten hat? 
 
Seine Gäste in einer Lounge empfangen zu können, vermittelt den Hausherren und Hausdamen ein Gefühl der Teilhabe. Nämlich der Teilhabe an einem besonderen gesellschaftlichen Status. Man möchte als jemand wahrgenommen werden, der vermögend, weltgewandt, geistreich und der „executive business-class“ zugehörig ist. Vermutlich trifft das in der Realität nur auf einen Bruchteil der Lounge-Inhaber zu. Auch in der Kaiserzeit richteten sich die Kleinbürger derart ein, wie der Adel - nach ihrer Vermutung - zu residieren pflegte. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Lounge-Stil einen Kompromiss geschlechtsspezifischer Vorlieben im Umgang mit Wohnungsgestaltung bietet: Männliche Sachlichkeit wird kollisionsfrei mit weiblichen Deko-Bonbons kombiniert. Politisch korrekte Harmonie, die auch noch pflegeleicht ist. 
 
Auf den zweiten Blick wird jedoch auch klar, welche Elemente Fremdkörper in dem reinen Ambiente der Lounge wären: Die verlotterten Mitglieder des Prekariats und Grübler, die alles hinterfragen und nicht einfach aalglatt „machen“.
Mich beschleicht das ominöse Gefühl, dass die deutsche Gesellschaft einen zunehmend loungeartigen Charakter annimmt. Ich finde dies einerseits beängstigend, habe aber andererseits gelernt, dass in Lounges oft leckere Schickimicki-Drinks gereicht werden, wie etwa Aperol-Spritz, mit denen man sich die Situation ungemein schön trinken kann.
 
Am Ende dieser Reflexion ist mir völlig bewusst, dass meine Frau mir vorhalten wird, dass ich nur versuche mein chronisches Chaos zu rechtfertigen und mich vor dem Aufräumen zu drücken. Es wird mir zwar schwerfallen diesen Vorwurf zu entkräftigen, aber eine Lounge kommt für mich nicht in Frage. Zu langweilig für meinen Geschmack.
 
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der nächsten Wohnungsrenovierung!
 
Philipp Heine