Die roten Schwestern der Resignation - Von Philipp Heine
Für den modernen Menschen ist es ebenso befriedigend wie
abstoßend, in eine Schublade mit anderen gesteckt zu werden. Stets bewegt er
sich auf dem schmalen Grat zwischen dem Wunsch einzigartig zu sein und dem
Bedürfnis, einer Gemeinschaft anzugehören. Andere Menschen zu kategorisieren
und zu generalisieren ist aus gutem Grund moralisch anrüchig, bereitet jedoch –
vielleicht gerade deshalb - ein
unglaublich großes Vergnügen.
Bereits seit dem Morgengrauen der menschlichen Geschichte
drücken Menschen ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, wie etwa religiösen
Gemeinschaften, Berufsgruppen, Adel, oder militärischen Rängen, durch
spezifische Kleidung, Frisuren oder Schmuckgegenstände aus. Auf diese Weise
entsteht im Chaos des Lebens eine angenehme Ordnung. Für die individuelle Beurteilung der
Situation ist es von großer Wichtigkeit, ob die Person an der Kreuzung nackt
ist, eine Polizeiuniform trägt, einen bunten Haarkamm und diverse
Sicherheitsnadeln am Körper trägt oder mit Mitra und weißer Frauenkleidung angetan
in einem gläsernen Panzerfahrzeug sitzt.
Ich selbst habe von Kindesbeinen an gelernt, welche
Weltanschauung ich von einem Menschen zu erwarten habe, der eine Glatze hat,
Springerstiefel und Lonsdale-Klamotten trägt und merkwürdigerweise gar kein
Baseball spielen kann. Ich weiß auch, dass ein Mann, dessen gesamter Körper in
einem Latexstrampler steckt und der an der Leine durch den Park geführt wird,
vermutlich dem gehobenen öffentlichem Dienst angehört, da er augenscheinlich über
genügend Gehalt und die soziale Kompetenz verfügt, die es ihm erlaubt, zwischen
nötiger Autorität und beamtetem Gehorsam abzuwägen. Ich hatte auch nie Zweifel
daran, dass mir ein Langhaariger mit Aufnäherjacke und Thors Hammer am
Lederband eher den Unterschied zwischen Speed- und Deathmetal erklären kann,
als ein Seppelhutträger mit Janker und Gamsbart.
Ein historischer Wendepunkt für die Kunst der
Menschenidentifikation stellte sich mit dem Zusammenbruch des realversuchten
Kommunismus ein. Gemeinsam mit den 80er Jahren starben auch die Eindeutigkeiten
und klaren Fronten. Und just in dieser Zeit der modischen sowie ideologischen
Verwirrtheit erschienen die ersten Vertreterinnen einer geheimnisvollen neuen
Gruppe in der deutschen Öffentlichkeit, die sich jeglicher politischen, religiösen
oder musikalischen Zuordnung bis heute erfolgreich entziehen.
Obwohl über ihrem gemeinsamen Anliegen ein mystischer
Schleier liegt, so ist doch die Uniformität ihrer Erscheinung beeindruckend.
Selbst Soldaten oder Skinheads sehen sich nicht so ähnlich: Es handelt sich
ausschließlich um Frauen, die älter als 25 Jahre sind, ein Minimalgewicht von
60 kg aufweisen und auf Weisung bisher unbekannter Oberer beschlossen haben,
ihre Haare (unter Berücksichtigung fransiger Koteletten) kurz schneiden und rot
färben zu lassen. Sie kleiden sich stets mit Hosen (Jeans oder weiten
Bügelfaltenhosen) und tragen dazu gern eine weite Seidenbluse in Pastellfarben
mit passendem Halstuch. Wird eine Brille benötigt, so fällt die Wahl auf solche
mit rechteckigen Sehschlitzen und – oft bunten – gleichbreiten Plastikbügeln.
Erstaunlicherweise hat sich in den letzten 20 Jahren nichts an diesem
Erscheinungsbild geändert, was in krassem Gegensatz zu regulären
Modeerscheinungen steht.
Ich muss gestehen, dass mir die Motive komplett verborgen
sind, die zu einer solchen Umdekoration führen könnten. Die Zugehörigkeit zu
einer musikalischen Subkultur ist sehr zweifelhaft. Wenn ich erraten sollte,
was für Musik im Pumuckl-Orden gehört wird, dann käme ich zu unterschiedlichen
Ergebnissen, wie etwa Andrea Berg, PUR, Peter Maffay oder vielleicht sogar den
Scorpions oder gar Unheilig. Diese Erkenntnisse sind wenig hilfreich. Trotz der
roten Haarfarbe kommt auch eine politische Einordnung überhaupt nicht in Frage.
Religion und sexuelle Vorlieben? Fehlanzeige! Es fällt auf, dass es auch
keinerlei öffentliche Veranstaltungen speziell für diese Gruppe, die ja keine
unbedeutende Größe hat, gibt. Wo ist das Bindeglied, der gemeinsame Nenner, der
tausende Frauen seit Jahrzehnten ohne jegliches kommunikatives Forum
zusammenhält?
Analysieren wir die vorliegenden Fingerzeige:
Zunächst zur Kleidung. Diese dient eindeutig nicht der
Unterstreichung der körperlichen Proportionen, sondern im Gegenteil, diese zu
überdecken. In Farbgebung und Schnitt ist sie beinahe deckungsgleich mit der
Mode, die von vielen Rentnern etwa ab dem 65. Lebensjahr getragen wird.
Die roten Haare und die dezent aggressive Brillenform setzen
einen gegensätzlichen Akzent, der gewisse Ähnlichkeiten zur Gothic-Scene
aufweist. Traditionell werden rote Haare mit Hexerei und Aufsässigkeit gegen
das Althergebrachte assoziiert. Sie sind aber auch das Klischee des stummen
Schreis nach Aufmerksamkeit.
Die seit langer Zeit unveränderte Gesamterscheinung macht
deutlich, dass das Ziel, um die Gunst des anderen Geschlechts zu werben, anscheinend
vollständig aufgegeben wurde.
Es zeichnet sich ab, dass jener Seelenzustand, der scheinbar
die Wurzel der Gemeinschaft bildet, ein düsterer ist.
Aus überwältigendem Selbstzweifel und Mangel an innerer Stärke,
die vermutlich aus Verzweiflung über den Mangel gesellschaftlich geforderter
körperlicher Perfektion resultiert, resignieren die Damen und schicken sich an,
bereits vorzeitig die Gewänder des Greisenalters anzulegen. Um sich von deren
rechtmäßigen Inhabern abzusetzen, färben sie ihre Haare rot. Durch dieses
„freche“ Detail inmitten gepflegter Neutralität versuchen sie einen Hauch von Revolution
anklingen zu lassen. Allerdings erfolglos.
Liebe Eltern übergewichtiger Töchter!
Ich rufe Sie zu Wachsamkeit und Prävention auf. Sollte ihr
Nachwuchs zu erkennen geben, dass rote Haarfärbemittel immer interessanter
werden, oder sollten Sie im Jugendzimmer auf Kataloge von Sanitätshäusern
stoßen, dann werden Sie aktiv. Seien Sie mitfühlend und zeigen Sie Alternativen,
wie etwa Piercings, Tätowierungen oder den Konsum von Modedrogen auf. Sollte
dies nicht wirken, dann öffnen Sie ihr Herz weit und bieten selbst abwegige
Lösungen, wie eine Geschlechtsumwandlung oder ein Jura-Studium an. Alles ist
besser und hoffnungsvoller, als der resignative Schritt in ein modisches
inneres Endlager.
Ich wünsche Ihnen viel Glück. Mögen ihre Kinder nicht in den
Strudel der roten Kurzhaarträger geraten.
Philipp Heine
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