Stets kritisch

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Montag, 30. September 2013

Die roten Schwestern der Resignation



Die roten Schwestern der Resignation - Von Philipp Heine

Für den modernen Menschen ist es ebenso befriedigend wie abstoßend, in eine Schublade mit anderen gesteckt zu werden. Stets bewegt er sich auf dem schmalen Grat zwischen dem Wunsch einzigartig zu sein und dem Bedürfnis, einer Gemeinschaft anzugehören. Andere Menschen zu kategorisieren und zu generalisieren ist aus gutem Grund moralisch anrüchig, bereitet jedoch – vielleicht gerade deshalb -  ein unglaublich großes Vergnügen.

Bereits seit dem Morgengrauen der menschlichen Geschichte drücken Menschen ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, wie etwa religiösen Gemeinschaften, Berufsgruppen, Adel, oder militärischen Rängen, durch spezifische Kleidung, Frisuren oder Schmuckgegenstände aus. Auf diese Weise entsteht im Chaos des Lebens eine angenehme Ordnung.  Für die individuelle Beurteilung der Situation ist es von großer Wichtigkeit, ob die Person an der Kreuzung nackt ist, eine Polizeiuniform trägt, einen bunten Haarkamm und diverse Sicherheitsnadeln am Körper trägt oder mit Mitra und weißer Frauenkleidung angetan in einem gläsernen Panzerfahrzeug sitzt.

Ich selbst habe von Kindesbeinen an gelernt, welche Weltanschauung ich von einem Menschen zu erwarten habe, der eine Glatze hat, Springerstiefel und Lonsdale-Klamotten trägt und merkwürdigerweise gar kein Baseball spielen kann. Ich weiß auch, dass ein Mann, dessen gesamter Körper in einem Latexstrampler steckt und der an der Leine durch den Park geführt wird, vermutlich dem gehobenen öffentlichem Dienst angehört, da er augenscheinlich über genügend Gehalt und die soziale Kompetenz verfügt, die es ihm erlaubt, zwischen nötiger Autorität und beamtetem Gehorsam abzuwägen. Ich hatte auch nie Zweifel daran, dass mir ein Langhaariger mit Aufnäherjacke und Thors Hammer am Lederband eher den Unterschied zwischen Speed- und Deathmetal erklären kann, als ein Seppelhutträger mit Janker und Gamsbart.

Ein historischer Wendepunkt für die Kunst der Menschenidentifikation stellte sich mit dem Zusammenbruch des realversuchten Kommunismus ein. Gemeinsam mit den 80er Jahren starben auch die Eindeutigkeiten und klaren Fronten. Und just in dieser Zeit der modischen sowie ideologischen Verwirrtheit erschienen die ersten Vertreterinnen einer geheimnisvollen neuen Gruppe in der deutschen Öffentlichkeit, die sich jeglicher politischen, religiösen oder musikalischen Zuordnung bis heute erfolgreich entziehen.

Obwohl über ihrem gemeinsamen Anliegen ein mystischer Schleier liegt, so ist doch die Uniformität ihrer Erscheinung beeindruckend. Selbst Soldaten oder Skinheads sehen sich nicht so ähnlich: Es handelt sich ausschließlich um Frauen, die älter als 25 Jahre sind, ein Minimalgewicht von 60 kg aufweisen und auf Weisung bisher unbekannter Oberer beschlossen haben, ihre Haare (unter Berücksichtigung fransiger Koteletten) kurz schneiden und rot färben zu lassen. Sie kleiden sich stets mit Hosen (Jeans oder weiten Bügelfaltenhosen) und tragen dazu gern eine weite Seidenbluse in Pastellfarben mit passendem Halstuch. Wird eine Brille benötigt, so fällt die Wahl auf solche mit rechteckigen Sehschlitzen und – oft bunten – gleichbreiten Plastikbügeln. Erstaunlicherweise hat sich in den letzten 20 Jahren nichts an diesem Erscheinungsbild geändert, was in krassem Gegensatz zu regulären Modeerscheinungen steht.
Ich muss gestehen, dass mir die Motive komplett verborgen sind, die zu einer solchen Umdekoration führen könnten. Die Zugehörigkeit zu einer musikalischen Subkultur ist sehr zweifelhaft. Wenn ich erraten sollte, was für Musik im Pumuckl-Orden gehört wird, dann käme ich zu unterschiedlichen Ergebnissen, wie etwa Andrea Berg, PUR, Peter Maffay oder vielleicht sogar den Scorpions oder gar Unheilig. Diese Erkenntnisse sind wenig hilfreich. Trotz der roten Haarfarbe kommt auch eine politische Einordnung überhaupt nicht in Frage. Religion und sexuelle Vorlieben? Fehlanzeige! Es fällt auf, dass es auch keinerlei öffentliche Veranstaltungen speziell für diese Gruppe, die ja keine unbedeutende Größe hat, gibt. Wo ist das Bindeglied, der gemeinsame Nenner, der tausende Frauen seit Jahrzehnten ohne jegliches kommunikatives Forum zusammenhält?

Analysieren wir die vorliegenden Fingerzeige:
Zunächst zur Kleidung. Diese dient eindeutig nicht der Unterstreichung der körperlichen Proportionen, sondern im Gegenteil, diese zu überdecken. In Farbgebung und Schnitt ist sie beinahe deckungsgleich mit der Mode, die von vielen Rentnern etwa ab dem 65. Lebensjahr getragen wird.
Die roten Haare und die dezent aggressive Brillenform setzen einen gegensätzlichen Akzent, der gewisse Ähnlichkeiten zur Gothic-Scene aufweist. Traditionell werden rote Haare mit Hexerei und Aufsässigkeit gegen das Althergebrachte assoziiert. Sie sind aber auch das Klischee des stummen Schreis nach Aufmerksamkeit.

Die seit langer Zeit unveränderte Gesamterscheinung macht deutlich, dass das Ziel, um die Gunst des anderen Geschlechts zu werben, anscheinend vollständig aufgegeben wurde.
Es zeichnet sich ab, dass jener Seelenzustand, der scheinbar die Wurzel der Gemeinschaft bildet, ein düsterer ist.

Aus überwältigendem Selbstzweifel und Mangel an innerer Stärke, die vermutlich aus Verzweiflung über den Mangel gesellschaftlich geforderter körperlicher Perfektion resultiert, resignieren die Damen und schicken sich an, bereits vorzeitig die Gewänder des Greisenalters anzulegen. Um sich von deren rechtmäßigen Inhabern abzusetzen, färben sie ihre Haare rot. Durch dieses „freche“ Detail inmitten gepflegter Neutralität versuchen sie einen Hauch von Revolution anklingen zu lassen. Allerdings erfolglos.

Liebe Eltern übergewichtiger Töchter!
Ich rufe Sie zu Wachsamkeit und Prävention auf. Sollte ihr Nachwuchs zu erkennen geben, dass rote Haarfärbemittel immer interessanter werden, oder sollten Sie im Jugendzimmer auf Kataloge von Sanitätshäusern stoßen, dann werden Sie aktiv. Seien Sie mitfühlend und zeigen Sie Alternativen, wie etwa Piercings, Tätowierungen oder den Konsum von Modedrogen auf. Sollte dies nicht wirken, dann öffnen Sie ihr Herz weit und bieten selbst abwegige Lösungen, wie eine Geschlechtsumwandlung oder ein Jura-Studium an. Alles ist besser und hoffnungsvoller, als der resignative Schritt in ein modisches inneres Endlager.

Ich wünsche Ihnen viel Glück. Mögen ihre Kinder nicht in den Strudel der roten Kurzhaarträger geraten.

Philipp Heine

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