Stets kritisch

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Montag, 30. September 2013

Zeugenschutzprogramm



Zeugenschutzprogramm - Von Philipp Heine

Wie um alles in der Welt kommt ein erwachsener und intelligenter Familienvater auf die Idee, zu einer halbautomatischen Schusswaffe zu greifen, gutturale Laute auszustoßen und eine Ansammlung unbekannter Passanten ins Jenseits zu befördern?

Als ich gestern erschöpft von der Arbeit kam und naiv dachte, das Fernsehen könnte mir auf gemütliche Art den Abend versüßen, musste ich feststellen, dass ich einer Beantwortung dieser Frage erschreckend nah kam. Nicht etwa, weil mir eine Wissenschaftssendung psychopathologische Zusammenhänge erklärte, sondern weil das Programm, wie eigentlich immer, unbeschreiblich schlecht war und begann, diejenigen dunklen Ecken der Seele zu stimulieren, die von einem weniger ausgeglichenem Gemüt vermutlich nur bedingt kontrolliert werden können.

Ich könnte mich an dieser Stelle umfangreich über Kochsendungen und Verkaufsfernsehen auslassen, die gefühlte 75 Prozent der gesendeten Inhalte repräsentieren. Auch Sendungen, die hausfräulichen Konsumrausch durch Wettbewerb anstacheln oder Talkshows, die ein Pöbelforum für Mehrfachabhängige bieten wollen, wären zweifellos ein tolles Thema. Ich erspare Ihnen und mir jedoch dieses Gemetzel vorerst, zumal ein anderer Typus von TV-Sendungen interessante und zugleich alarmierende Fragen aufwirft. Es handelt sich um jene „Dokusoap“ genannten Beiträge, die Episoden aus dem Berufsalltag diverser deutscher Ordnungshüter zum Besten geben.

Auf den ersten Blick ist das nichts Neues. Seit Beginn der schriftlichen Historie gibt es solche Berichte, die sich schließlich zu dem entwickelten, was wir heute „Krimi“ nennen. Neu ist allerdings, dass innerhalb einer Sendung über eine ganze Bandbreite verschiedener Berufe erzählt wird. Vom Polizisten über den Mitarbeiter des Ordnungsamtes bis hin zur Steuerfahnderin ist alles vertreten. Warum dieses neue Format? Warum heute?

Um diese Fragen zu beantworten, halte ich es für notwendig, kurz die Probleme und Aufgaben der Ordnungsorgane zu umreißen.

Ob Dorf, Stadt oder Staat, jedes Gemeinwesen braucht tapfere Männer und Frauen, die einerseits die Schwachen gegen die Übergriffe der Starken verteidigen und die Regeln durchsetzen, und andererseits Geld für das öffentliche Säckel eintreiben, so dass sinnvolle Projekte, wie etwa Stadtflughäfen, unterirdische Bahnhöfe oder Philharmonien finanziert werden können. In der Aufteilung dieser beiden Aufgabenbereiche liegt nun die wahre Kunst und Weisheit der Innenpolitik. Wie entscheidend diese für die Identifikation der Bürger mit ihrem Gemeinwesen ist, zeigt ein negatives historisches Beispiel: Im mittelalterlichen Nottingham gab es einst einen Leiter des Ordnungsamtes (engl. Sheriff), dessen PR-Berater es nicht gelang, das Übergewicht des Geldeintreibens durch Imagekampagnen auszugleichen. Entsprechend breiteten sich – ausgehend von einem sozialen Brennpunkt namens Sherwood Forrest- aggressive Ausschreitungen aus, die die Zerstörung öffentlichen Eigentums, Körperverletzungen und sogar zahlreiche Todesfälle mit sich brachten. Ein Präzendenzfall, von dem Generationen von Politikern gelernt haben. Werden die regulären Polizeikräfte dazu eingesetzt, die Weiler derer Leibeigener anzuzünden, die ihre Steuerschuld nicht aufbringen können, oder sich im Unterholz zu verstecken, um zu schnelle Fahrzeuge zu fotografieren, statt sich mit marodierenden Wikingern, Rockern oder rumänischen Einbrechern anzulegen, dann sind ungewollte Nebeneffekte und ein schlechter Ruf zu erwarten. Wohlhabende Bürger werden dann etwa damit beginnen, eigene Sicherheitstruppen zu rekrutieren. Potentielle Kandidaten für solche Aufgaben sind – aufgrund des nötigen Testosteron-Gehirn-Gleichgewichts – die Mitglieder eben der Gruppen, die von der Polizei beobachtet werden sollten. Es ist zudem keine Übertreibung zu behaupten, dass die Politikverdrossenheit der Bürger nicht wirklich weniger wird, wenn beherzte Berufszeuginnen mit blonden Strähnchen und goldenen Schnörkelbrillen durch die Innenstädte streifen und Falschparker verpetzen.

Doch – und damit komme ich zurück zum Thema – unerwartete Hilfe naht. Nämlich in Gestalt der privaten Fernsehsender. Dort hat man erkannt, wie man zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt:
Auf der einen Seite werden die Vertreter der gewalttätigen Unterschicht ruhiggestellt, indem ihnen freundliche und sympathische Ordnungshüter als Identifikationsfiguren angeboten werden. Ein Schutz-Programm für professionelle Zeugen. Was für ein heldenhafter Einsatz für die gesellschaftliche Ordnung! Ich kann mir vorstellen, dass allein das Casting – eine fast aussichtslose Herausforderung – Monate gedauert haben muss.
Auf der anderen Seite wird gleichzeitig die Mittelschicht bedient, indem eine aktionsgeladene Realsatire  dargeboten wird. Wer allerdings Wert auf ausformulierte Dialoge legt und ein kritisches und mündiges Bürgertum höher schätzt als staatlich geförderte Gängelung durch unterqualifizierte Aufpasser, der wird entweder abschalten oder weiterzappen bis jener berüchtigte glasige Blick einsetzt, der den anfangs erwähnten Zustand einläutet.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Fernsehabend.

Philipp Heine

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