Ist teure Wohnraumgestaltung eine Überraschung? - Von Philipp Heine
Ich möchte Sie zu einem Gedankenexperiment einladen. Ich
stelle mir folgende Umstände vor: Ich bin ein Mensch der europäischen Spätantike,
der erzkonservativ ist, über unbegrenzten Reichtum verfügt, fromm und
homosexuell ist. Leider werden all meine Eigenschaften nicht von der
Gesellschaft akzeptiert. Was tue ich? Die Lösung ist einfach: ich gründe eine
Sekte.
Damit diese religiöse Gemeinschaft es mir ermöglicht, meine
Neigungen voll ausleben zu können, muss sie spezifischen Regeln und Ansprüchen
genügen:
Die Leitung und Durchführung der internen Abläufe ist ausschließlich
auf Männer beschränkt, wobei Frauen als Logistiker
integriert werden, um diese nicht gegen die Gemeinschaft aufzubringen. Findet
sich jedoch eine Frau, die zu viele Fragen stellt, wird sie kriminalisiert und
beseitigt.
Alle Mitarbeiter bekommen Kleidung, die sowohl Vertreter der
Fraktion anspricht, die auf Frauenkleidung steht, wie auch jener, die Uniformen
bevorzugt.
Es werden Institutionen gegründet, in denen Knaben die
Möglichkeit haben, sich an diese Kleidung zu gewöhnen, mit glockenheller Stimme
zu singen, altgriechisch zu lernen und zu verinnerlichen, dass Züchtigung und
Fehlverhalten zusammengehören.
Um den Geschmack der Mitglieder zu bedienen, würde ich einen
eigenen Stil entwickeln, der viel Gold, Fleisch und Bestrafungsformen enthält.
Diesen würde ich „unregelmäßige Perle“ nennen (ital. Barocco).
In diesem Stil wäre auch die Zentrale der Sekte gehalten. Um
diese vor Neugierigen zu schützen, würde ich sie mit einer Mauer umgeben und
von Männern in Harlekinkleidung mit langen Spießen bewachen lassen.
Die gelebten Neigungen würde ich unter dem Begriff „Heiliger
Geist“ zusammenfassen und an die Seite von Vater und Sohn stellen.
Als Logo für die neue Sekte bietet sich ein Instrument aus
der Sado-Maso-Szene an, da es sowohl Macht wie Gehorsam repräsentiert.
Eine perfekte Spielwiese!
Ich stelle mir aus aktuellem Anlass eine Frage: Wie wäre es
zu beurteilen, wenn im 21. Jahrhundert
ein Mitglied der Führungsebene genau dieser Sekte, eine außergewöhnlich große
Summe Geld, über die er unkontrolliert verfügen kann, für Wohnraumdesign – etwa
eine geräumige Badewanne, oder einen Flaschenzug im Wohnzimmer, mit dem schwere
Lasten, etwa ein Adventskranz, an die Decke gezogen werden können -ausgibt?
Ich denke, dass es genauso naiv wäre, sich darüber zu
wundern, wenn das Geld für einen privaten Frisiersalon, ein Ballettensemble,
Damenschuhe von Zalando oder eine Statuengruppe der Village People (im
Mittelalter unter dem Namen der Quatuor Coronati als Heilige verehrt)
ausgegeben worden wäre. Die Ausgabe erfüllte lediglich die Grundansprüche der
Glaubensgemeinschaft.
Kritik an diesem Verhalten wäre dumm und sinnlos!
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!
Philipp Heine