Verordnung und Toleranz - Von Philipp Heine
Es ist verhältnismäßig leicht, einen Deutschen zu fangen und
zu einem langen qualvollen Tod zu verurteilen: Man muss ihn nur zwischen einige
Ampeln locken, die alle dauerhaft auf Rot geschaltet sind. Nach einer Woche
wird man seine verhungerten Überreste bergen können. Weshalb ist das so?
Die deutsche Seele ist erfüllt von Angst (ein Wort, das etwa die Angloamerikaner von uns als Lehnwort übernommen haben). Angst vor dem Verlust an Sicherheit und Gewohnheit. Neues, Fremdes und Risikobehaftetes gilt es abzuwehren, egal zu welchem Risiko. Entsprechend haben drei Institutionen einen festen Platz im teutonischen Kulturgut: Obrigkeit, Gesetz und Bunker. Speerspitze und Wächter dieser Angst, die sich im Positiven durch Sekundärtugenden, wie etwa Pünktlichkeit, Gehorsam und Genauigkeit äußert, sind die Beamten. Sie stellen sicher, dass Sicherheit und Ordnung Triebfeder des Lebens bleiben, nicht etwa Lebensfreude, Freiheit oder Neugier. Deutschland könnte nicht so etwas Unvernünftiges wie einen Ferrari konzipieren. Der einzige als solcher erkennbare deutsche Sportwagen war eine Folge nationalsozialistischen Größenwahns und hat sich seit dieser Zeit kaum verändert. Wer Dinge plant, die „cool“ oder auf Vergnügung ausgerichtet sind, wird sofort mit zwei Argumenten gestellt:
1. Das Mutterargument: Kinder könnten zu Schaden kommen oder auf falsche Gedanken gebracht werden.
2. Das Bildungsbürgerargument: So etwas (wie laute Motoren und Negermusik) ist proletenhaft und nicht der geistigen Elite Deutschlands würdig.
Die deutsche Seele ist erfüllt von Angst (ein Wort, das etwa die Angloamerikaner von uns als Lehnwort übernommen haben). Angst vor dem Verlust an Sicherheit und Gewohnheit. Neues, Fremdes und Risikobehaftetes gilt es abzuwehren, egal zu welchem Risiko. Entsprechend haben drei Institutionen einen festen Platz im teutonischen Kulturgut: Obrigkeit, Gesetz und Bunker. Speerspitze und Wächter dieser Angst, die sich im Positiven durch Sekundärtugenden, wie etwa Pünktlichkeit, Gehorsam und Genauigkeit äußert, sind die Beamten. Sie stellen sicher, dass Sicherheit und Ordnung Triebfeder des Lebens bleiben, nicht etwa Lebensfreude, Freiheit oder Neugier. Deutschland könnte nicht so etwas Unvernünftiges wie einen Ferrari konzipieren. Der einzige als solcher erkennbare deutsche Sportwagen war eine Folge nationalsozialistischen Größenwahns und hat sich seit dieser Zeit kaum verändert. Wer Dinge plant, die „cool“ oder auf Vergnügung ausgerichtet sind, wird sofort mit zwei Argumenten gestellt:
1. Das Mutterargument: Kinder könnten zu Schaden kommen oder auf falsche Gedanken gebracht werden.
2. Das Bildungsbürgerargument: So etwas (wie laute Motoren und Negermusik) ist proletenhaft und nicht der geistigen Elite Deutschlands würdig.
Nachdem Deutschland nur 12 Jahre gegeben waren, in denen die
tiefsten seelischen Sehnsüchte ausgelebt werden konnten, kamen der Ami, der
Tommy, der Ivan und der Franzose und machten alles kaputt. Doch sie gaben uns
schlauerweise eine neue Obrigkeit. Und so ist (West-) Deutschland das einzige
Land, das binnen kürzester Zeit eine humanistische Ethik übernahm. Amerika
wundert sich immer wieder von neuem über die vergeblichen Versuche, solche
Ergebnisse auch in Ländern wie Irak, Vietnam oder Afghanistan zu erzielen. Aber
wie tief verwurzelt sind humanistische Ideale, wie etwa die Toleranz, in
Deutschland und mit welchen Argumenten werden die Deutschen von ihnen
überzeugt?
Sofort erscheinen zahlreiche Erinnerungen vor dem geistigen
Auge: Ein schwarzafrikanischer Mitbürger durchquert den Raum, als sich
Karl-Heinz zu mir herüberneigt und jovial raunt „Das ist aber ein schöner, und
so gepflegt!“. Oder die resolute Dame mit Goldrandbrille und ergrauter
Kurzhaarfrisur, die beim Anblick eines bärtigen Türken erbleicht und panisch
nach einem zurückgelassenen Koffer Ausschau hält. Oder das weinende Jesuskind,
das ansehen muss, wie zwei Männer sich küssen. Sehr interessant ist auch der
Effekt, den Anglizismen im Gespräch mit Vertretern des konservativen Bürgertums
haben können: Es folgt oft eine Tirade gegrummelter Verfluchungen, von denen
nur das Wort „Multikulti“ deutlich vernehmbar ist.
All diese Begegnungen verstärken die Erkenntnis, dass
Deutschland nicht wirklich stolz darauf ist, ein Schmelztiegel der Kulturen zu
sein. Das Fremde wird nicht wirklich als Möglichkeit der Horizonterweiterung
willkommen geheißen. Vielmehr scheint es Gehorsam der Obrigkeit und dem Gesetz
gegenüber zu sein, die Toleranz zum zentralen Wert und zur Zierde macht. Wer
mit weihevollem Brustton von sich behaupten kann, ein sehr toleranter Mensch in
christlicher und preußischer Tradition zu sein, dem verzeiht man auch das
Komma-Aber, welches meistens folgt. Der
Musterbürger hat seine Schuldigkeit getan und darf zurück an den Stammtisch.
Ich möchte nicht als undankbarer Nestbeschmutzer erscheinen:
Seit der Gründung der Bundesrepublik haben wir eine lange Periode des Friedens,
des Wohlstands und der nachhaltigen Rechtsstaatlichkeit erleben dürfen, was in
den Augen von unzähligen Menschen ein ferner Wunschtraum sein dürfte. Ich
fürchte nur, dass auch TV-Dokumentationen über die NS-Zeit im 15-Minuten-Takt
keine Wirkung zeigen, wenn sich eines Tages eine völlig neuartige Obrigkeit
anschickt, irgendeine Minderheit für politisch unkorrekt zu erklären. Deutscher
Gehorsam, deutsche Ordnungsliebe und deutsche Effizienz werden die Minderheit–
wahrscheinlich nur unter Protest – einer Lösung zuführen. Die Obrigkeit muss
nur gerissen genug sein, auf braune Uniformen und Hakenkreuzfahnen zu
verzichten. Wir können dankbar sein, dass die Fanatiker bislang geistig zu
eingeschränkt waren, dies zu erkennen.
Die größte Hoffnung für dauerhaften Frieden in Deutschland
besteht nach meiner Überzeugung in der Trägheit und dem Stumpfsinn der
Spaßgesellschaft. Videospiele werden unsere Rettung sein.
Ich wünsche Ihnen einen geordneten und effizienten Tag!
Philipp Heine