Auch das jüngste Gericht ist gealtert - Von Philipp Heine
Was haben Hollywood und die Vergabe von Drittmitteln in der
Forschung gemeinsam? Nun, beide werden danach bewertet, inwiefern aktuelle
Probleme bearbeitet werden, von denen möglichst viele Menschen hautnah und
dramatisch betroffen sind. Anders ausgedrückt: Je größer und emotionaler die
öffentliche Wahrnehmung und der damit verbundene Absatz, desto besser.
Erstaunlicherweise führt diese Tatsache sowohl in der Traumfabrik als auch in
Forschungseinrichtungen zu exakt gleichen Ergebnissen. Ergebnisse, die uns
vergegenwärtigen, dass in alten Zeiten
beide scheinbar so unterschiedlichen Branchen noch vereinigt waren. In
der Antike nannte man die gefeierten Protagonisten dieses Ur-Gewerbes
Propheten. Und nach wie vor handeln die höchstdotierten Produkte vom gleichen
Thema: Dem Weltuntergang.
Nichts spornt die menschliche Fantasie und Kreativität mehr
an als Massenvernichtung. Das einzige Szenario des Weltenbrandes, das dem
Publikum nicht geläufig ist, besteht darin, dass die Bewegung des Universums an
Fahrt verliert und schließlich stehenbleibt. Dieser Tod durch Langeweile dürfte
in Sachen Verkaufszahlen nicht sonderlich vielversprechend sein. Alle anderen
möglichen Varianten haben wir gesehen: Dinosaurier, Supervulkane, Atomkrieg,
Ozonloch, Kometen, Supernovae, schwarze Löcher, Viren, Kippen der Erdachse,
Dieter Bohlen und aktuell den Klimawandel.
An letzterem lässt sich besonders gut veranschaulichen, wie
glaubwürdig die Vorhersagen jener weisen Männer sind, die früher mit zerzaustem
Haar und irrem Blick auf Marktplätzen predigten und heute mit Brille und
Krawatte in Hörsälen und Talkshows anzutreffen sind. Der Autor der sogenannten „Offenbarung
des Johannes“ war sicher nicht der erste, aber zweifellos der wirkungsvollste
Apokalyptiker der Geschichte. Generationen von Gläubigen versuchten immer
wieder, den Zeitpunkt des Untergangs nach seinen Vorgaben zu berechnen und
sahen sich stets am ermittelten Zeitpunkt genötigt, ein Korrekturangebot zu
machen. Lagen dem Europäer keine eigenen Hinweise auf den sicheren baldigen Tod
vor, griff man auch gern zu fremden Quellen, wie dem Mayakalender und
interpretierte diesen derart (fehl), dass er ins Konzept passte.
Mancher mag sich noch an die kalten Winter der 60er und 70er
Jahre erinnern. In diesen Tagen verkündeten die Meteorologen mit dem Brustton
der todesnahen Überzeugung, dass zweifellos eine neue Eiszeit über die
Menschheit hereinbrechen werde. Heute ist das Gegenteil der Fall und wir alle
sind schuld. Durch unsere Sünden an Gottes Schöpfung führen wir eine globale
Erwärmung herbei, die uns zweifellos mit Feuer und Wasser vom Angesicht der
Erde tilgen wird. Es besteht eine entfernte Möglichkeit, dass wir durch
Tugendhaftigkeit und Umkehr die Strafe des Herrn abmildern könnten. Die
wahrscheinlichere Möglichkeit aber, diesem Schicksal zu entgehen, besteht
darin, dass uns vor den Folgen der Hitze eine andere Katastrophe, wie Atomtod
oder Kometeneinschlag, vernichtet. Wer an diese Menetekel glaubt, wie all die
Jünger des missionarischen Ökoismus, hat der Logik zufolge keine Argumente mehr
gegen das Rauchen oder für vegane Ernährung. Wir sind als Mitglieder der
letzten Generation dem Tod in einem Tsunami oder einer pyroklastischen Wolke
geweiht. So, wie alle anderen letzten Generationen vor uns auch. Logik ist es
aber nicht, was rechtschaffene Gläubige antreibt. Es ist die Berufung, als
Märtyrer am Strand von Palma de Mallorca in einer Flutwelle zu ertrinken.
Zugegeben: Der Klimawandel existiert. Da das Klima aber seit
Beginn der Welt im Wandel befindlich ist, ist das nicht wirklich eine
Überraschung. Wahrscheinlich wirken Gase, die vom Menschen produziert werden auch
als beschleunigender Katalysator. Das bedeutet jedoch nicht automatisch die
globale Katastrophe. Analysiert man archäologische Befunde und antike Quellen,
so wird man feststellen, dass warme Perioden fast immer mit Hochphasen der
Kultur einhergingen, da durch die Hitze mehr atmosphärische Feuchtigkeit
vorhanden und damit die Grundlage für mehr fruchtbare Gebiete gegeben war, als
in Kältephasen, in denen die Feuchtigkeit in den Meeren und Eisschilden
gebunden ist. Wir werden uns einfach darauf einrichten müssen, dass wir nun von
anderen klimatischen Gefahren bedroht werden, als früher. Unsere
Überlebenschancen ändern sich dadurch aber nicht notwendigerweise.
Immer wieder sickert durch, dass in Medien und Wissenschaft
eine regelrechte Zensur stattfindet, die etwa Forschung behindert, die sich mit
dem bisher deutlich unterschätzten Einfluss der Sonnenaktivitäten auf das Klima
der Erde beschäftigt, oder Ausmaß und menschliche Urheberschaft der nahenden
Vernichtung relativiert.
Es scheint also, dass auch der Mensch unserer Tage süchtig
nach dem Gefühl ist, der letzten, mächtigsten, perfektesten und zugleich
düstersten Generation anzugehören. Das triste Dasein als Beamter im mittleren
Dienst hat somit Teil an heiligem und heroischem Glanz. Hier sind die letzten Tage, die
für stille Meditation am Rande des Abgrunds genutzt werden, bevor der letzte
einsame Gang durch das läuternde Feuer ins ewige Licht angetreten wird. Dieser
Abgang ist deutlich verheißungsvoller als ein Schlaganfall auf der Toilette.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie stets Zuversicht und Sonnencreme
mit sich tragen.
Philipp Heine
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