Die Renaissance des Haars in der Suppe - Von Philipp Heine
Liegt es an mir, an meinem fortschreitenden Alter oder an
meinem Mangel an Coolness? Wohin ich in letzter Zeit auch blicke, Fernsehen,
Innenstadt, Gaststätte oder Verein,
überall tummeln sich immer mehr junge Männer mit unfassbar hässlichen
Hornbrillen, Vollbärten, Häkelmützen und Markenkleidung, die wohl aussehen
soll, als wäre sie keine. Ich gestehe, dass mich langsam eine gewisse Panik
befällt, dass die unsäglichen 70er Jahre wieder über uns hereinbrechen, die an
Stilmangel selbst durch den Neandertaler nicht übertroffen wurden. Nachdem
Generationen von Heranwachsenden sich in der Kunst der Selbstverstümmelung und
Selbstentstellung in einem wahnwitzigen Wettbewerb zu überbieten versuchten,
ist die derzeitige Krönung in Form des sogenannten Hipsters erreicht.
Durch den Einsatz von Pickelhauben, Pomade, Imponiernarben
im Gesicht, flächendeckenden Tätowierungen, Piercings, Brandings, Implantaten,
Ballonmützen, Pumphosen, Schlaghosen, unrasierten Achselhöhlen oder rot gefärbten
Haaren war es bislang nicht gelungen, das offensichtliche Endziel, nämlich die
Ausrottung der Gattung Mensch durch Verhinderung von Beischlaf, zu erreichen.
Nun könnte es bald soweit sein: Vor meinem Auge entsteht die beunruhigende
Vision eines lockigen Vollbartes, der zärtlich eine Melange von Eigelb, Caffè
latte und Bulgursalat auf Lisa-Marie´s Hello-Kitty-Tattoo pinselt, beobachtet
von zwei Augen, die durch eine übergroße Brille blicken, die an Streber in der
Unterstufe oder amerikanische Großmütter erinnert. Im Hintergrund spielt „Hey
Brother“ von Avicii in Endlosschleife auf N-Joy. Liebe Tiere, Eure Zeit der
Herrschaft ist gekommen!
Wie kann es kommen, dass der Bart, ein rudimentäres Relikt aus
Primatenzeiten, immer wieder einen Weg findet, als Stilmittel der
Selbstinszenierung missbraucht zu werden? Selbst nachdem Kaiser und Führer die
Funktion der Gesichtsbehaarung als Genital- und Gehirnsubstitut bewiesen haben,
scheinen Männer den mundnahen Akzent zu brauchen. Bereits wenige Tage nach der
Pubertät denkt sich der 15-jährige Lehrling, dass ihn der weiche Flaum stante
pede zum Alpharüden befördert, wenn er ihn stehen lässt. Später, wenn sich der
Bartwuchs gefestigt hat, steht eine ganze Bandbreite von Bartformen zur
Verfügung, die – jede auf ihre Art und Weise – den Anschein erweckt, als hätte
der Träger eine besondere Botschaft, die mit großer Männlichkeit vertreten
wird. Da ist der solide und bescheidene Bürger mit Schnauzer, der
Intellektuelle mit norddeutschem Fischerbart, das kreative Filou mit
Zwirbelbart, oder der weise Großvater mit Weihnachtsmannbart, der sich leider
häufig als Obdachloser entpuppt. Alle
tragen sie die haarige Gesichtsmaske, die stets den Verdacht hinterlässt, dass
etwas verborgen werden soll. Jene Männer, die sich in Bart-Vereinen zusammenschließen
und täglich Stunden mit Wachs,
Brennschere und Fön zubringen um abstruse Gebilde dort entstehen zu lassen, wo
andere lächeln und sich küssen, treiben das Gefühl auf die Spitze, dass
Äußerlichkeiten von massiven Problemen ablenken sollen. Je größer und
exzentrischer der Bart, und damit das Werbetransparent, desto enttäuschender
kann es sein, mit diesen Menschen erste Worte zu wechseln, wenn man feststellen
muss, dass es sich weder um einen Vertreter der Intelligenzija, noch einen
griechischen Gott handelt.
All diese Tatsachen sind seit geraumer Zeit bekannt. Nun
jedoch fällt auch dem bebrillten Mützenverehrer ein, dass der Bart seine
Gesamterscheinung perfekt abrunden könnte und er schlau und alternativ vor der
weiblichen Welt erscheinen würde.
Die Geschichte lehrt uns, dass das schöne Geschlecht
wahrscheinlich auch bei dieser modischen Entgleisung dumm und blind genug sein
wird, den Hipstern Schläue und Stil abzukaufen. Später, im posthormonellen
Alter, werden auch die Vertreterinnen dieser Generation dann die alten Bilder
betrachten und sich mit leichter Röte im Gesicht fragen, was sie sich damals
gedacht hatten.
Mit anderen Worten: Auch wenn ich derzeit einen ästhetischen
Alptraum erlebe, muss ich mir eingestehen, dass die Menschheit wohl auch dieses
Mal überleben wird. Ich denke, dass dies eine positive Erkenntnis ist, die mich
dazu bringt, das alberne Treiben um mich mit einem Lächeln zu beobachten. Gut
rasiert werde ich abwarten, welche vergangenen Fehltritte der Mensch sich als
nächstes anschickt, aus der Mottenkiste der Geschichte hervor zu kramen.
Irgendwie habe ich den Verdacht, dass es riesige Schulterpolster sein könnten.
Ich wünsche Ihnen gute Fahrt im ewigen Kreislauf der
kommerziellen Stillosigkeit.
Philipp Heine
Ü 50 sagt danke
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