Stets kritisch

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Samstag, 29. März 2014

Ich mag meine Midlife-Crisis. Warum hatte ich meine Midlife-Crisis nicht schon mit 21 Jahren?

Ich mag meine Midlife-Crisis. Warum hatte ich meine Midlife-Crisis nicht schon mit 21 Jahren? 

- von Captain Slow

Einige meiner Freunde haben die böse 4 schon erreicht. 40 Jahre, die magische Zahl. Für mich ist sie das jedenfalls. Mich holt sie in diesem Herbst ein. Das verdammte Jahr 2014 gibt mir also seine böse 4 ab. Können wir es nicht das Jahr 201 nennen? Dann wäre die Sau an dem Punkt blank. Aber es hilft wohl nichts.

Die meisten Männer behaupten, ihnen mache das nichts aus. Manchen glaube ich es, manchen nicht. Mir jedenfalls ist es überhaupt nicht egal. Keine Ahnung, woran es liegt, aber seit ich 39 bin, hat sich vieles für mich verändert. Ich entdecke meine Midlife-Crisis. Wir reden hier nicht über selbstmitleidiges Sinnieren über den Sinn des Lebens und die Frage, was es noch zu bieten hat. Wir reden nicht über Rheuma und Erektionsstörungen. Um da gleich jedem Zweifel vorzubeugen: Ich bin immer noch der alte. Nur eben etwas älter.

Ich meine auch nicht die Umstände meines Lebens. Ich meine die Art und Weise, wie ich darauf blicke. Meine Sicht auf mein eigenes Leben hat sich völlig verändert. Genauer betrachtet muss ich sogar sagen: Es haben sich neue kritische Blickwinkel ergeben, die ich zuvor nicht kannte.

Ich stelle plötzlich entscheidende Dinge meines Lebens in Frage, die ich bisher einfach nur hingenommen habe. Und ich bin plötzlich bereit, hieraus Konsequenzen zu ziehen, mögen sie noch so gravierende Folgen haben. Ich bin dabei erstaunt über meine geradezu radikale innere Bereitschaft, zentrale Punkte meines gewohnten Daseins über den Haufen zu werfen. Ich bin ein Rebell! Das letzte Mal, als ich mir eingebildet habe, ein Rebell zu sein, war das beim Kiffen auf dem Schulhof. Als ich 18 war, war das auf eine gewisse Weise rebellisch. Auf einer christlichen Privatschule jedenfalls. Mich schaudert es heute beim Gedanken an meine damalige Chuzpe... nicht!

Wer jetzt spekuliert, was ich denn wohl für wahnwitzige Konsequenzen gezogen haben könnte: Keine Sorge! Ich habe mein geliebtes Auto nicht gegen einen Zweisitzer aus Zuffenhausen getauscht und lebe auch nicht mit der neuen Liebe meines Leben zusammen, die Chantal oder so ähnlich heißt und gerade 20 ist. Ich bin nicht Dieter Bohlen oder Lothar Matthäus. Ich denke über Dinge nach, über die jemand, der seit Jahrzehnten seinen Lebensunterhalt mit dem Arrangement der selben zwei Akkorde verdient, nicht sinniert. Ich habe mein Leben nicht damit verbracht, den ganzen Tag gegen einen Ball zu treten, bzw. mir diesen täglich vielfach mit voller Wucht gegen die Rübe dreschen zu lassen, bis der Bregen weich wird. Auch wenn Lothar Matthäus für mich immer einer der Helden von 1990 bleiben wird: Ich glaube nicht, dass osteuropäische Models mit dem Intellekt von 5 Metern Feldweg Gottes Geschenk an die Männer sind. Tatsächlich bin ich Lothar Matthäus bei einer Geschäftsreise nach München am Flughafen direkt in die Arme gelaufen und habe ihn nicht um ein Autogramm gebeten. Der Held ist irgendwie zu menschlich geworden. Danke Bild und Gala! Si tacuisses, philosophus mansisses, Lodda!

Ich frage mich wie und warum ich wichtige Entscheidungen in meinem Leben getroffen habe und stelle leider fest: Meist habe ich sie gar nicht bewusst getroffen. Jedenfalls nicht im Sinne einer zielgerichteten Auswahl einer von verschiedenen Möglichkeiten. Warum habe ich Jura studiert? Ich weiß es wirklich nicht. Dabei war das wohl eine gute Entscheidung. Doch aber auch der reine Zufall. Mein (warum auch immer) begonnenes Chemiestudium war eine Karre Mist. Also weg damit und her mit was Neuem. Und was macht man, wenn man so gar keinen Plan hat, was man werden will? Richtig: BWL oder Jura. So stellte ich die entscheidendste Weiche meines Lebens. Unfassbar eigentlich. Was kommt nach dem 2. Staatsexamen? Jedenfalls nicht Angestellter sein, dachte ich mir. Da blieb ja nur eine eigene Rechtsanwaltskanzlei. Schwein gehabt, dass ich ganz gut in meinem Job bin. Das hätte sehr in die Hose gehen können.

Warum arbeite ich eigentlich permanent? Warum habe ich kaum Zeit für Hobbies? Warum gebe ich mir den unglaublichen Stress, nicht nur mein eigenes Leben zu finanzieren, sondern auch das diverser Angestellter meiner Kanzlei? Ich weiß es nicht. Es ist so passiert, hat sich so entwickelt. Entwickelt, ohne dass ich wirklich sagen könnte, ich hätte mich bewusst dafür entschieden. Unreflektierte Sachzwänge. Der Lauf des Lebens. Vor 2 Jahren hätte ich mit den Schultern gezuckt und gesagt: „Moin, ist halt wie es ist.“

Ist halt wie es ist“ beschreibt für mich vieles bis zur Vorahnung des 40. Geburtstags. Und plötzlich ist alles anders: Warum ist es so und sollte ich das ändern? Soll es so weitergehen? Kann ich etwas ändern? Was kann ich tun? Was sind die Vor- und Nachteile? Keine Tabus! Mein Leben ist endlich, ich kann mir nicht leisten, es zu verschwenden.

Ein guter Freund riet mir: „Komm mal wieder runter, das ist eine normale Phase. Die geht aber wieder vorbei.“ Vielleicht hat er Recht. Das geht vorbei und alles geht wieder seinen gewohnten Gang. Aber ist das gut? Nein, ist es nicht! Ich will nicht, dass es vorbei geht. Im Gegenteil. Warum war es nicht schon immer so? Warum habe ich nicht schon immer jede Entscheidung bewusst in Frage gestellt, gepaart mit der uneingeschränkten inneren Bereitschaft, Fehlentscheidungen radikal zu berichtigen, falsche Entwicklungen zu korrigieren?

Ich mag meine Midlife-Crisis. Ich wünschte, ich hätte sie schon mit 21 Jahren gehabt.

Captain Slow







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