Ich
mag meine Midlife-Crisis. Warum hatte ich meine Midlife-Crisis nicht
schon mit 21 Jahren?
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von Captain Slow
Einige
meiner Freunde haben die böse 4 schon erreicht. 40 Jahre, die
magische Zahl. Für mich ist sie das jedenfalls. Mich holt sie in
diesem Herbst ein. Das verdammte Jahr 2014 gibt mir also seine böse
4 ab. Können wir es nicht das Jahr 201 nennen? Dann wäre die Sau an
dem Punkt blank. Aber es hilft wohl nichts.
Die
meisten Männer behaupten, ihnen mache das nichts aus. Manchen glaube
ich es, manchen nicht. Mir jedenfalls ist es überhaupt nicht egal.
Keine Ahnung, woran es liegt, aber seit ich 39 bin, hat sich vieles
für mich verändert. Ich entdecke meine Midlife-Crisis. Wir reden
hier nicht über selbstmitleidiges Sinnieren über den Sinn des
Lebens und die Frage, was es noch zu bieten hat. Wir reden nicht über
Rheuma und Erektionsstörungen. Um da gleich jedem Zweifel
vorzubeugen: Ich bin immer noch der alte. Nur eben etwas älter.
Ich
meine auch nicht die Umstände meines Lebens. Ich meine die Art und
Weise, wie ich darauf blicke. Meine Sicht auf mein eigenes Leben hat
sich völlig verändert. Genauer betrachtet muss ich sogar sagen: Es
haben sich neue kritische Blickwinkel ergeben, die ich zuvor nicht
kannte.
Ich
stelle plötzlich entscheidende Dinge meines Lebens in Frage, die ich
bisher einfach nur hingenommen habe. Und ich bin plötzlich bereit,
hieraus Konsequenzen zu ziehen, mögen sie noch so gravierende Folgen
haben. Ich bin dabei erstaunt über meine geradezu radikale innere
Bereitschaft, zentrale Punkte meines gewohnten Daseins über den
Haufen zu werfen. Ich bin ein Rebell! Das letzte Mal, als ich mir
eingebildet habe, ein Rebell zu sein, war das beim Kiffen auf dem
Schulhof. Als ich 18 war, war das auf eine gewisse Weise rebellisch.
Auf einer christlichen Privatschule jedenfalls. Mich schaudert es
heute beim Gedanken an meine damalige Chuzpe... nicht!
Wer jetzt spekuliert, was ich denn wohl
für wahnwitzige Konsequenzen gezogen haben könnte: Keine Sorge! Ich
habe mein geliebtes Auto nicht gegen einen Zweisitzer aus Zuffenhausen
getauscht und lebe auch nicht mit der neuen Liebe meines Leben
zusammen, die Chantal oder so ähnlich heißt und gerade 20 ist. Ich
bin nicht Dieter Bohlen oder Lothar Matthäus. Ich denke über Dinge
nach, über die jemand, der seit Jahrzehnten seinen Lebensunterhalt
mit dem Arrangement der selben zwei Akkorde verdient, nicht sinniert.
Ich habe mein Leben nicht damit verbracht, den ganzen Tag gegen einen
Ball zu treten, bzw. mir diesen täglich vielfach mit voller Wucht
gegen die Rübe dreschen zu lassen, bis der Bregen weich wird. Auch
wenn Lothar Matthäus für mich immer einer der Helden von 1990
bleiben wird: Ich glaube nicht, dass osteuropäische Models mit dem
Intellekt von 5 Metern Feldweg Gottes Geschenk an die Männer sind. Tatsächlich bin ich Lothar Matthäus bei einer Geschäftsreise
nach München am Flughafen direkt in die Arme gelaufen und habe ihn
nicht um ein Autogramm gebeten. Der Held ist irgendwie zu menschlich
geworden. Danke Bild und Gala! Si tacuisses, philosophus mansisses,
Lodda!
Ich
frage mich wie und warum ich wichtige Entscheidungen in meinem Leben
getroffen habe und stelle leider fest: Meist habe ich sie gar nicht
bewusst getroffen. Jedenfalls nicht im Sinne einer zielgerichteten
Auswahl einer von verschiedenen Möglichkeiten. Warum habe ich Jura
studiert? Ich weiß es wirklich nicht. Dabei war das wohl eine gute
Entscheidung. Doch aber auch der reine Zufall. Mein (warum auch
immer) begonnenes Chemiestudium war eine Karre Mist. Also weg damit
und her mit was Neuem. Und was macht man, wenn man so gar keinen Plan
hat, was man werden will? Richtig: BWL oder Jura. So stellte ich die
entscheidendste Weiche meines Lebens. Unfassbar eigentlich. Was kommt
nach dem 2. Staatsexamen? Jedenfalls nicht Angestellter sein, dachte
ich mir. Da blieb ja nur eine eigene Rechtsanwaltskanzlei. Schwein
gehabt, dass ich ganz gut in meinem Job bin. Das hätte sehr in die
Hose gehen können.
Warum
arbeite ich eigentlich permanent? Warum habe ich kaum Zeit für
Hobbies? Warum gebe ich mir den unglaublichen Stress, nicht nur mein eigenes
Leben zu finanzieren, sondern auch das diverser Angestellter meiner
Kanzlei? Ich weiß es nicht. Es ist so passiert, hat sich so
entwickelt. Entwickelt, ohne dass ich wirklich sagen könnte, ich
hätte mich bewusst dafür entschieden. Unreflektierte Sachzwänge.
Der Lauf des Lebens. Vor 2 Jahren hätte ich mit den Schultern
gezuckt und gesagt: „Moin, ist halt wie es ist.“
„Ist
halt wie es ist“ beschreibt für mich vieles bis zur Vorahnung des
40. Geburtstags. Und plötzlich ist alles anders: Warum ist es so und
sollte ich das ändern? Soll es so weitergehen? Kann ich etwas
ändern? Was kann ich tun? Was sind die Vor- und Nachteile? Keine
Tabus! Mein Leben ist endlich, ich kann mir nicht leisten, es zu
verschwenden.
Ein
guter Freund riet mir: „Komm mal wieder runter, das ist eine
normale Phase. Die geht aber wieder vorbei.“ Vielleicht hat er
Recht. Das geht vorbei und alles geht wieder seinen gewohnten Gang.
Aber ist das gut? Nein, ist es nicht! Ich will nicht, dass es vorbei
geht. Im Gegenteil. Warum war es nicht schon immer so? Warum habe ich
nicht schon immer jede Entscheidung bewusst in Frage gestellt,
gepaart mit der uneingeschränkten inneren Bereitschaft,
Fehlentscheidungen radikal zu berichtigen, falsche Entwicklungen zu
korrigieren?
Ich
mag meine Midlife-Crisis. Ich wünschte, ich hätte sie schon mit 21
Jahren gehabt.
Captain
Slow
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