Stets kritisch

Stets kritisch

Sonntag, 18. Mai 2014

Ökumene der Geschmacklosigkeit

Ökumene der Geschmacklosigkeit - Von Philipp Heine

Ich möchte mich an dieser Stelle nicht auf eine Diskussion über inhaltliche Wahrheit und Sinn der christlichen Religion, oder über Vorzüge und Nachteile einzelner Konfessionen einlassen. Was mich aber seit vielen Jahren zutiefst verwirrt, ist die Ästhetik, mit der sich die moderne Kirche, egal ob katholisch oder evangelisch, der erstaunten und teilweise belustigten Öffentlichkeit präsentiert.

Gelegentlich kam es in meinem Leben vor, dass ich ein Gemeindehaus, ein Kolpinghaus, eine seit den 70er Jahren entstandene Kirche oder die Wohnung einer Theologiestudentin betreten habe. Stets bietet sich mir ein verblüffend ähnlicher Anblick: Beton und Backstein treffen auf Kiefernholzmöbel und den Duft von Kamillentee. Ein obligatorischer und in allen erdenklichen Formen präsenter Bestandteil der Dekoration ist der Regenbogen, der zwar die Versöhnung von Gott und Mensch symbolisiert, aber bei Überdosierung durchaus albern wirken kann. Er schmückt das Gros all jener Gesangs- und Kindergottesdienstvorbereitungsbücher, die sich in den Regalen neben Bastelbüchern, Bibelkommentaren und landeskirchlichen Warnschriften gegen die Wollust und Abwegigkeit der heutigen Welt stapeln. Der Regenbogen ist auch auf dem von afrikanischen Kindern gemalten Bild zu finden, das natürlich nicht als Trophäe für die erfolgreiche humanitäre Mission im Land der Wilden fehlen darf.

Zwei deutsche Künstler des 20. Jahrhunderts haben nachhaltigen Einfluss auf weitere Schmuckstücke christlicher Inneneinrichtung genommen: Käthe Kollwitz und Ernst Barlach. Unzählige Kreuze und Figürchen aus Holz oder Bronze, Holzschnitte oder Radierungen laden dazu ein, die Seele mit frommen Mitleid und gläubig-pazifistischem Sendungsbedürfnis anzufüllen. Das eskalierende Leid kriegstraumatisierter Kindergesichter und die aufopfernde Pein Jesu treffen auf den Trost leise weinender Engelchen. Ich vermute, dass es den Kirchen und ihren Schäfchen zu verdanken ist, dass in unseren Tagen überhaupt noch Bronze produziert wird.

Der ultimative Kultgegenstand moderner christlicher Ethik und nahezu ekstatischer Hingabe ist das Taizé-Kreuz. Aus einer kleinen französischen Gemeinde stammend, steht es für konfessionsübergreifende und gemeinschaftliche Frömmigkeit. Gelbe, Schwarze, Rote, Weiße glauben Hand in Hand die gleiche Sache.

Mit großer Akribie wird beachtet, dass fromme Biotope lediglich mit Naturprodukten ausstaffiert werden. Die einzigen Produkte, die nicht aus natürlichen Fasern und abbaubarem Material bestehen, sind der Fahrradhelm und die wasserdichte Satteltasche.

Während meines Studiums gehörte es zu den verbreiteten Gemeinschaftsspielen, in der Mensa den Studiengang diverser Studentinnen und Studenten anhand ihrer äußeren Erscheinung zu bestimmen. Juristen und angehende Religionslehrerinnen zählten zu den mit Abstand leichtesten Fällen. Letztere zeigten sich mit großer Zuverlässigkeit mit folgenden Attributen: Dunkelblaue Strumpfhosen, die es mehr oder weniger schafften, den Blick auf die unrasierten Beine zu kaschieren, selbstgehäkelte Ringelsöckchen, Faltenröcke, Blusen, kleine Lederrucksäcke mit obligatorischer Diddl-Maus, ovale Brillen mit Metallrand, Zahnklammern, selbstgebastelte Freundschaftsbänder  und – wenn es galt, eine gewisse Verwegenheit zu demonstrieren – ein Palästinensertuch. Grundsätzlich zeigten die Mädchen – nur selten gab es männliche Vertreter dieser Gattung, die sich aber äußerlich nur gering von den weiblichen unterschieden – eine ablehnende Haltung jeglicher Form von Kosmetikprodukten gegenüber, weshalb man stets der ungeschminkten und unrasierten Realität göttlicher Schöpfung ausgesetzt war. Regelmäßig trugen die Theologinnen ein Instrumentenköfferchen mit sich, das eine Trompete enthielt. Während die geschlechtliche Vermehrung des Normalbürgers nämlich auf Disko- oder Kneipenbesuchen basiert, so sind es bei den keuschen Menschen, die sich in Nachfolge Jesu Christi befinden, gern der Posaunenchor der Gemeinde, der Kirchentag oder das Jugendcamp, die die Größe der zukünftigen Herde des guten Hirten garantieren.

Zu der Merkwürdigkeit der Bekleidung kam der spezifische Habitus, der männliche und weibliche Theologen auszeichnete. Unabhängig von der Gelegenheit zeigten sie fast immer ein dienstbares und hilfsbereites Lächeln auf den Lippen, welches nicht unbedingt auf Humor oder wilde Lebensfreude zurückzuführen war. Es war ein Lächeln, das zeigte, dass man Teil eines geschlossenen Systems göttlicher Liebe und Wahrheit war, das unerschütterlich von den Einflüssen der garstigen Fleischlichkeit existiert.

Manchmal kommt es vor, dass eine Schar junger Menschen ohne Vorwarnung plötzlich eine Gitarre hervorholt und beginnt, mit glockenheller Stimme einen hebräischen oder afrikanischen Kanon zu trällern. In diesem Moment kann davon ausgegangen werden, dass moderne Jünger der Dreifaltigkeit so verzückt sind, wie es ihnen ihre Moralvorstellung erlaubt.

Ich habe festgestellt, dass Theologinnen zu den nettesten und freundlichsten Personen gehören, die mir jemals begegnet sind. Dennoch frage ich mich, ob mich die moderne christliche Ästhetik und ihre Repräsentanten zu dem Gedanken motivieren würden, mich ihnen anzuschließen, wenn ich das gleiche christliche Bekenntnis hätte. Ich fürchte, dass die Antwort ein klares Nein ist. Leere Kirchen lassen mich zudem denken, dass ich mit dieser Meinung nicht allein bin.

Ich wünsche den Kirchen, dass es ihnen gelingt, sich der normalen und realen Welt schrittweise zu öffnen. Sehr gern erfreue ich mich aber auch weiterhin an der bunten und seltsam grinsenden Exzentrik der frömmelnden Blaustrümpfe.

Philipp Heine

Donnerstag, 15. Mai 2014

Wie das Sammeln die Balz verdrängte

Wie das Sammeln die Balz verdrängte - Von Philipp Heine

Wie der possierliche Paradiesvogel mit seinen bunten Federn und lustigen Tänzen, so warben auch die Menschen einstmals um die Gunst potentieller Partner: Der Mann stählte seinen Körper, benetzte ihn mit Moschusdüften und schmückte sich mit Attributen, die von Macht, Vitalität und Wohlstand kündeten. Die Frau ihrerseits legte süße Düfte auf, gewandete sich mit schönen Kleidern, die einen Hauch von wohldosierter Erotik durchscheinen ließen und übte sich in der Verbreitung reizender Weiblichkeit. Bei geselligen Veranstaltungen trafen die Werbenden aufeinander und erprobten gegenseitig ihre Gewandtheit im Umgang mit Geist und Körper. War man sich einig, so übernahmen körperinterne Schmetterlinge das Ruder und das Leben in Zweisamkeit nahm seinen Lauf.

Schaut man sich heute um, so denkt man auf den ersten Blick, dass alles seiner üblichen Wege geht und nur äußere modische Feinheiten sich gewandelt haben. Doch auf den zweiten Blick sind merkwürdige Abwege erkennbar. Zwar bemühen sich beide Geschlechter um Attraktivität, doch scheint dies mehr und mehr aus Gründen der Selbstverwirklichung zu geschehen, als um dem anderen Geschlecht zu gefallen. Mit der durchaus berechtigten Erkenntnis der Damen, dass ihre traditionelle Rolle sie benachteiligt und in der Freiheit beschränkt, geht eine neue, tendenziell negative Sicht auf den Mann einher, die dramatische Auswirkungen auf das Werbeverhalten des homo sapiens sapiens nach sich zieht: Die einst erfolgreiche Zurschaustellung von pulsierender Männlichkeit wird heute mit einem Naserümpfen und demonstrativ leerem Blick quittiert. Männer, die ihre körperliche Fitness zeigen, Autos fahren, die tatsächlich sportlich und schön sind, und auf betont aufreizende Kleidung Wert legen, tragen das Stigma des Proleten oder Schnösels. Frauen, die den alten Techniken die Treue halten, müssen mit dem Ruf einer unemanzipierten Schlampe leben.

In Schach gehalten von medialer Beeinflussung und gesellschaftlicher Konvention bemühen sich die modernen Westeuropäer, ihre smarte politische Korrektheit zu untermalen, indem sie sich modische Neuheiten gefallen lassen, die genau das betonen, was in den letzten Jahrtausenden Inbegriff des Unschönen war: Die Vertreterinnen der Weiblichkeit tragen mitunter Kleider, die ihre enge Verwandtschaft zum Jutebeutel deutlich erkennen lassen, färben sich die Haare rot, was bis vor kurzer Zeit eindeutiges Anzeichen für Hexerei oder Chromosomenmutation war, und tätowieren sich wie neuzeitliche Seebären. Die Herren der Schöpfung tragen paläolithische Bartmoden, Nerdbrillen und fahren Fahrrad oder  Renault Clio (was eindeutig die schlechtere Wahl ist).

Trotz der Abkehr von der Absicht, dem anderen Geschlecht gefallen zu wollen, ist die Lust am Mode-Shoppen erstaunlicherweise ungebrochen. Mit geradezu erotischer Wollust strömen die Vertreter aller Geschlechter in die Modehäuser oder  lassen den Onlinehandel erblühen. Doch wem will man gefallen?

Die Werbung gibt uns Aufschluss: Seit Jahren wird die moderne Frau gebetsmühlenartig aufgefordert, so zu sein, wie sie ist, an sich zu denken und sich selbst zu verwirklichen. Seifenopern stellen der zeitgemäßen Dame ein obligatorisches Kränzchen von Freundinnen an die Seite, das sie berät, unterstützt, mit ihr konkurriert, streitet und sich am Ende wieder verträgt. Der Spiegel und das Kränzchen sind das Publikum der immerwährenden Modeschau. In abgemilderter Form spielt sich ähnliches auch bei den modernen Herren ab.

Eine Folge dieses kränzchenorientierten Konsums ist das Entstehen von Sammlungen. Kleiderschränke, die zunehmend begehbar sind, füllen sich mit genau einmal getragenen Kuriositäten, die sowohl teuer als auch -  in den meisten Fällen -  für das andere Geschlecht unfassbar hässlich sind. Diese Sammlungen, deren Wert nicht an der Werbewirksamkeit, sondern am Vorhandensein spezifischer Marken bemessen wird, entwickeln einen stetig zunehmenden Selbstzweck. Während Madame Handtaschen und Schuhe hortet, umgibt sich Monsieur mit Uhren, Hemden und Mangel an Selbstbewusstsein.

Resultat dieser Entwicklung ist die stetig wachsende Unfähigkeit, Beziehungen erfolgreich zu beginnen und dauerhaft am Leben zu erhalten. Trennungsraten und der wachsende Zulauf bei Dating-Seiten im Internet sprechen eine klare Sprache.

Doch es besteht Hoffnung: Der Irrsinn ist nicht genetisch. Der Wille zum Beeindrucken des anderen Geschlechts ist nur kulturell verdrängt und schlummert dicht unter der Oberfläche. Den Beweis für diese These treten all jene Machos an, die dank Ignoranz oder unbändigem Ego das Proletenimage auf sich nehmen und mit verblüffendem Erfolg Damen aller Art in Begattungsstarre versetzen.

Ich wünsche uns allen, dass das Bekenntnis zur wahren Schönheit wieder salonfähig wird, so dass es nicht mehr immer die Idioten sind, die die hübschesten Mädels im Sportwagen zum Ort des Geschehens chauffieren.


Philipp Heine