Ökumene der Geschmacklosigkeit - Von Philipp Heine
Ich möchte mich an dieser Stelle nicht auf eine Diskussion
über inhaltliche Wahrheit und Sinn der christlichen Religion, oder über Vorzüge
und Nachteile einzelner Konfessionen einlassen. Was mich aber seit vielen
Jahren zutiefst verwirrt, ist die Ästhetik, mit der sich die moderne Kirche,
egal ob katholisch oder evangelisch, der erstaunten und teilweise belustigten
Öffentlichkeit präsentiert.
Gelegentlich kam es in meinem Leben vor, dass ich ein
Gemeindehaus, ein Kolpinghaus, eine seit den 70er Jahren entstandene Kirche
oder die Wohnung einer Theologiestudentin betreten habe. Stets bietet sich mir
ein verblüffend ähnlicher Anblick: Beton und Backstein treffen auf Kiefernholzmöbel
und den Duft von Kamillentee. Ein obligatorischer und in allen erdenklichen
Formen präsenter Bestandteil der Dekoration ist der Regenbogen, der zwar die
Versöhnung von Gott und Mensch symbolisiert, aber bei Überdosierung durchaus
albern wirken kann. Er schmückt das Gros all jener Gesangs- und
Kindergottesdienstvorbereitungsbücher, die sich in den Regalen neben
Bastelbüchern, Bibelkommentaren und landeskirchlichen Warnschriften gegen die
Wollust und Abwegigkeit der heutigen Welt stapeln. Der Regenbogen ist auch auf
dem von afrikanischen Kindern gemalten Bild zu finden, das natürlich nicht als
Trophäe für die erfolgreiche humanitäre Mission im Land der Wilden fehlen darf.
Zwei deutsche Künstler des 20. Jahrhunderts haben
nachhaltigen Einfluss auf weitere Schmuckstücke christlicher Inneneinrichtung
genommen: Käthe Kollwitz und Ernst Barlach. Unzählige Kreuze und Figürchen aus
Holz oder Bronze, Holzschnitte oder Radierungen laden dazu ein, die Seele mit
frommen Mitleid und gläubig-pazifistischem Sendungsbedürfnis anzufüllen. Das
eskalierende Leid kriegstraumatisierter Kindergesichter und die aufopfernde
Pein Jesu treffen auf den Trost leise weinender Engelchen. Ich vermute, dass es
den Kirchen und ihren Schäfchen zu verdanken ist, dass in unseren Tagen
überhaupt noch Bronze produziert wird.
Der ultimative Kultgegenstand moderner christlicher Ethik und
nahezu ekstatischer Hingabe ist das Taizé-Kreuz. Aus einer kleinen
französischen Gemeinde stammend, steht es für konfessionsübergreifende und
gemeinschaftliche Frömmigkeit. Gelbe, Schwarze, Rote, Weiße glauben Hand in
Hand die gleiche Sache.
Mit großer Akribie wird beachtet, dass fromme Biotope
lediglich mit Naturprodukten ausstaffiert werden. Die einzigen Produkte, die
nicht aus natürlichen Fasern und abbaubarem Material bestehen, sind der
Fahrradhelm und die wasserdichte Satteltasche.
Während meines Studiums gehörte es zu den verbreiteten
Gemeinschaftsspielen, in der Mensa den Studiengang diverser Studentinnen und
Studenten anhand ihrer äußeren Erscheinung zu bestimmen. Juristen und angehende
Religionslehrerinnen zählten zu den mit Abstand leichtesten Fällen. Letztere
zeigten sich mit großer Zuverlässigkeit mit folgenden Attributen: Dunkelblaue
Strumpfhosen, die es mehr oder weniger schafften, den Blick auf die unrasierten
Beine zu kaschieren, selbstgehäkelte Ringelsöckchen, Faltenröcke, Blusen, kleine
Lederrucksäcke mit obligatorischer Diddl-Maus, ovale Brillen mit Metallrand, Zahnklammern,
selbstgebastelte Freundschaftsbänder und
– wenn es galt, eine gewisse Verwegenheit zu demonstrieren – ein Palästinensertuch.
Grundsätzlich zeigten die Mädchen – nur selten gab es männliche Vertreter
dieser Gattung, die sich aber äußerlich nur gering von den weiblichen
unterschieden – eine ablehnende Haltung jeglicher Form von Kosmetikprodukten
gegenüber, weshalb man stets der ungeschminkten und unrasierten Realität
göttlicher Schöpfung ausgesetzt war. Regelmäßig trugen die Theologinnen ein
Instrumentenköfferchen mit sich, das eine Trompete enthielt. Während die
geschlechtliche Vermehrung des Normalbürgers nämlich auf Disko- oder
Kneipenbesuchen basiert, so sind es bei den keuschen Menschen, die sich in
Nachfolge Jesu Christi befinden, gern der Posaunenchor der Gemeinde, der
Kirchentag oder das Jugendcamp, die die Größe der zukünftigen Herde des guten
Hirten garantieren.
Zu der Merkwürdigkeit der Bekleidung kam der spezifische
Habitus, der männliche und weibliche Theologen auszeichnete. Unabhängig von der
Gelegenheit zeigten sie fast immer ein dienstbares und hilfsbereites Lächeln
auf den Lippen, welches nicht unbedingt auf Humor oder wilde Lebensfreude
zurückzuführen war. Es war ein Lächeln, das zeigte, dass man Teil eines
geschlossenen Systems göttlicher Liebe und Wahrheit war, das unerschütterlich
von den Einflüssen der garstigen Fleischlichkeit existiert.
Manchmal kommt es vor, dass eine Schar junger Menschen ohne
Vorwarnung plötzlich eine Gitarre hervorholt und beginnt, mit glockenheller
Stimme einen hebräischen oder afrikanischen Kanon zu trällern. In diesem Moment
kann davon ausgegangen werden, dass moderne Jünger der Dreifaltigkeit so
verzückt sind, wie es ihnen ihre Moralvorstellung erlaubt.
Ich habe festgestellt, dass Theologinnen zu den nettesten
und freundlichsten Personen gehören, die mir jemals begegnet sind. Dennoch
frage ich mich, ob mich die moderne christliche Ästhetik und ihre
Repräsentanten zu dem Gedanken motivieren würden, mich ihnen anzuschließen,
wenn ich das gleiche christliche Bekenntnis hätte. Ich fürchte, dass die
Antwort ein klares Nein ist. Leere Kirchen lassen mich zudem denken, dass ich
mit dieser Meinung nicht allein bin.
Ich wünsche den Kirchen, dass es ihnen gelingt, sich der
normalen und realen Welt schrittweise zu öffnen. Sehr gern erfreue ich mich
aber auch weiterhin an der bunten und seltsam grinsenden Exzentrik der frömmelnden
Blaustrümpfe.
Philipp Heine