Stets kritisch

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Montag, 12. Januar 2015

Pegida gab es schon vor 30 Jahren an der Hildesheimer Börde

Pegida gab es schon vor 30 Jahren an der Hildesheimer Börde - von Captain Slow

Seit ein paar Monaten rennt hier und dort, meist drüben, ein kleiner Haufen Spinner auf die Straßen, nennt sich Pegida und verkündet eine Menge dumpfen Unsinn. Das Echo in den Medien ist gewaltig, weil da ein ganz neues Phänomen geboren wurde. Und nun diskutiert Anne Will im Wettkampf mit Jauch, Plasberg usw. darüber, wie man dieser ganz neuen Bewegung wohl begegnen muss.

Das ist also alles neu? Zwischen Erzgebirge und Magdeburger Börde liegt also nicht Deutschlands Hochburg des Multi-Kulti? Wieder was gelernt. Das kann doch nicht ernsthaft jemanden überrascht haben! Neu ist doch nur, dass diese Hohlbirnen jetzt auf die Straße gehen und Plakate in den Winterregen halten. Sollen sie doch. Ich wünsche viel Spaß und eine saftige Erkältung.

Das einzige Phänomen, das ich sehen kann, ist jenes, dass die Medien hierzulande alles, was sich erstmals als „politische Bewegung“ in die Öffentlichkeit drängt, plötzlich als Sensation verkaufen und so getan wird, als sei das alles ganz neu. Alle engagierten Bürger müssen nun aufgeregt Stellung beziehen. Dabei ist das ganze Spiel Jahrzehnte alt und eigentlich nur albern. Gehen wir doch einmal gemeinsam zurück in der Geschichte.

Die Piraten.
Es ist noch nicht lange her, da ging wieder einmal ein Sturm durch die Medienlandschaft. Mit den Piraten gab es eine „neue politische Kraft“. Donnerwetter. Haben die mal irgendwo mitregiert? Haben die digitalen Fredis irgendwas zu melden? Nein, haben sie nicht. Also was sollte das Theater? Und es war ein Theater. Rauf und runter wurde dieser Hype diskutiert. Wer sind die? Woher kommen die? Entschuldigung. Es gibt in unserer Gesellschaft junge Menschen, vorwiegend männlich, die scheiße aussehen, sich scheiße anziehen, sich selten waschen und keinerlei soziale Kompetenzen vorweisen können. Deshalb haben sie keine Freunde und vor allem keinen Sex.

Das ist nicht neu! Heute heißen die Nerds und es gibt Fernsehserien über ihr Leben. Bevor es das Internet gab, hatten sie keinen eigenen Lebensraum, hießen in der Schule Asis und wurden in die Mülltonne gesteckt. Die 80er. Eine liebe Zeit.

Heute sitzen die Nerds in ihren Studentenbuden bis morgens um 4 vor dem Linux-PC und denken sich mit gleichgesinnten Opfern der Gesellschaft im Internet Verschwörungstheorien aus. Auf dem Mond war noch nie jemand, die Freimaurer haben die US-Regierung schon vor Jahrhunderten unterwandert und die Deutsche Bahn wirft Leichen auf die Schienen, um ihre Verspätungen zu rechtfertigen. Es war doch aber klar, dass sich irgendwann mal ein paar von den blassen Teiggesichtern zusammenschließen, für ihre weltfremden Ideen eine Partei gründen und ein paar notorische Protestwähler auf ihre Seite ziehen würden. Für exakt ein Jahr. Danach kehrten sie in die Studentenwohnheime der naturwissenschaftlichen Fakultäten zurück und spielten abends wieder „Die Siedler von Catan“. Ende der Episode.

Die Linke.
1990. Das Vaterland im Rausch der Freude. Wir hatten schließlich gerade die Ostzonalen vom Joch des Sozialismus befreit. Und kurze Zeit später tauchte die PDS auf. An der Spitze ein kleines linkisches Männchen mit absurder Nickelbrille. Und irgendwie sahen auch in dieser Partei alle scheiße aus und zogen sich scheiße an. Diese Damen und Herren propagierten aber wacker, dass in der Ostzone nicht alles schlecht gewesen sei und überhaupt wollten sie die gute alte Dame DDR zurück. Unter Hitler war angeblich auch nicht alles schlecht, wurde mir in meinem Zivildienst aus der passenden Generation oft versichert. Erstaunlich, wie Regime ihre Insassen oft gleich prägen.

Aber es gab keinen medialen Aufschrei. Die Sache war einfach nicht neu. Die PDS war die SED mit neuem Namen und gab altverdienten Stasileuten ein Zuhause. Das nannte man den Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Dass unter den Ostzonalen noch einige linke Quertreiber vegetieren, haben wir im Westen damals doch alle geahnt. Thema SED: eben beim Schreiben fällt mir auf: waren die nicht alle häßlich und scheiße angezogen?

Der Aufschrei kam jedenfalls erst, als sich verwirrte Wessis den Stasileuten anschlossen und manchmal auch im Westen ein paar Wählerstimmen bekamen. Die neue politische Kraft, die mit Populismus auf Dummenfang geht, war geboren. Hallo? Das ist nicht neu! Ich komme aus einem Dorf im südlichen Niedersachsen. Die linke Kraft mit den einfachen Rezepten für Doofe hieß in meiner Jugend SPD-Ortsverein! Nach Gerhard Schröder wurden diese Leute geistig obdachlos und in der Stasiherberge waren Zimmer frei. Also, was hätten Sie denn getan? Sind doch alles nur Menschen!

Die Grünen.
Anfang der 80er gab es auch schon ein Erdbeben in der politischen Landschaft. Ein paar Wirrköpfe, die – Sie ahnen es sicher – scheiße aussahen und scheiße, diesmal wirklich richtig scheiße, angezogen waren, traten auf die politische Bühne. Meist hatten sie es mit Gutmensch-Themen wie Umweltschutz und Weltfrieden, allgemeinverbindlich für alle. Da konnte man ihnen nicht recht böse sein.

Nervtötend war nur, dass sie sich stetig Dinge ausdachten, gegen die sie dann leidenschaftlich zu Felde zogen. Konsumterror. Waldsterben. Es gab nie ein Waldsterben! Aber das machte diese Menschen irgendwie aus. Sie hatten keine Sorgen, also dachten sie sich welche aus. Auch das ist menschlich.

In den goldenen 70ern haben sie in den Nachwehen der 68er Proteste ihr Studium stressfrei und kiffend in alternativen Diskussionskreisen hinter sich gebracht und dabei über alternative Lebensentwürfe diskutiert, die man nur diskutieren oder leben kann, wenn das Geld dazu ebenso stressfrei von Dritter Seite kommt. Und so war es ja. Danach rutschten diese Leute wiederum stressfrei in den öffentlichen Dienst oder gleich die lebenslange Verbeamtung als Lehrer. Dort konnten sie den ganzen Vormittag Kindern klarmachen, dass sie alles besser wissen und hatten nach der Mittagspause sehr sehr viel Zeit. Und sehr sehr wenig Sorgen.

Das wurde natürlich schnell langweilig. Da musste man sich auf andere Weise die Zeit vertreiben. Beispielsweise erlaubten sich die Lehrer unter ihnen schlimme Scherze mit Schülern, etwa indem sie den heranwachsenden Jungs stetig eintrichterten, dass Frauen möglichst sensible und verständnisvolle Männer bevorzugen, die auch möglichst oft zu ihren Tränen stehen. Das führte zu einer Generation von Jungs, die bis Mitte 20 immer sehr viele beste Freundinnen und sehr wenige richtige Freundinnen hatte.

Aber auch das wurde natürlich irgendwann langweilig und deshalb musste der große Wurf her. Die Grünen gründeten sich. Und da war was los im Fernsehen. Aber das war auch nicht neu! Die Leute kannten wir doch alle. Vormittags von Behördengängen und aus der Schule. Nachmittags aus Bibelkreisen, Bürgerinitiativen und ihrem zweiten Zuhause: der Volkshochschule, wo sie Kurse besuchten wie: Tanzen für den Weltfrieden oder esoterisches Makramee.

Pegida.
Pegida gab es schon in meiner Jugend, hieß damals aber natürlich nicht „Pegida“. Die Sache hatte eigentlich keinen Namen. Sie war vielmehr: „Dorfbevölkerung-im-südlichen-Niedersachsen-aber-nur-die-echten-und-nicht-die-zugezogenen-aus-der-Stadt“. Menschen wie Du und ich.

Ich habe sie viel gesehen in meiner Jugend und ich lieh Ihnen mein Ohr. Meist saßen sie wohl in Dorfkneipen; da durfte ich jedoch altersbedingt noch nicht rein. Eine gute Chance hatte man aber z.B. im Rahmen von Fußballturnieren. Zu diesen Anlässen versammelte sich die hiesige Dorfbevölkerung gern im Clubhaus, rauchte eine HB-Zigarette nach der anderen und dann ging's los.

Da wurde zunächst die politische Weltlage im Allgemeinen und sodann die innenpolitische Lage im Besonderen beleuchtet. Meist wenig differenziert, dafür laut und plakativ. Dazu flossen Bier und Korn in Mengen. Versteht sich. Es ging dann um „Neger“ und „Kanaken“. Es ging um „Hippies“ und „Punker“ (bitte hier unbedingt deutsch aussprechen. Also nicht nur falsch „Punker“ statt „Punks“, sondern bitte zusätzlich mit gesprochenem „u“). Aufgrund der meist protestantischen Konfessionsmehrheit im Harzvorland kriegten auch noch die „Katholen“ ihr Fett weg und Muslime hießen „Mohamedaner“; die kriegten erst recht ihr Fett weg, obwohl keiner einen kannte. Außer vielleicht den Ali aus der Firma. Der war aber immer nett. Und irgendwie ja auch ein Mensch. Soviel Fairness gab es dann doch.

Also: Nicht so ein Theater um die Hohlbirnen veranstalten. Die sind nicht neu. Sie haben nichts zu melden. Sie sehen scheiße aus und sind scheiße angezogen!

Captain Slow

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