Stets kritisch

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Donnerstag, 20. August 2015

Die Welt zu Gast bei Freunden

Die Welt zu Gast bei Freunden - Von Philipp Heine

Die Bewohner der nordwesteuropäischen Zivilisation sind froh darüber, dass sie das Umherirren in der Wildnis hinter sich gelassen haben. Stadt, Haus, Burg und Weiler lassen den Menschen behaglich werden. Natur ist schön, wenn sie gezähmt ist. Gemütlichkeit ist ohne das Vorhandensein von Mauern kaum vorstellbar. Auch unser Verständnis von Kultur ist nicht ohne die dicken Mauern von Burgen, Kirchen und Städten komplett. Wer es zu etwas gebracht hat, kauft sich ein Haus, baut einen Zaun darum und lässt es von Tonzwergen bewachen. Besitz ist, was ich legal vor anderen Menschen in Sicherheit bringen kann. Nichts ist typischer für den Deutschen, als die Tendenz, Mauern und Bunker anzulegen.
Es gibt Menschen, die ihr Wohlempfinden durch das Maß ihrer persönlichen Freiheit bestimmt sehen. Nicht der Deutsche. Sicherheit, Planbarkeit und Berechenbarkeit sind wesentlichere Parameter, wenn es um des Teutonen Komfort geht. Liberalismus hat in Deutschland nur geringe Chancen. Zwar wagt der Deutsche es, durch die Fenster in seinen Mauern zu blicken und von Abenteuern zu träumen, doch bereits auf Mallorca gerät er in Panik, wenn deutsche Küche und deutsche Sprache nur einen Moment außer Reichweite sind. Gefahren, Risiken und Improvisation sind Vorboten von Anarchie und Apokalypse. Es ist kaum verwunderlich, dass politischer Fortschritt gleichbedeutend mit einer schrittweisen Verwandlung der Gesellschaft in eine barrierefreie, verkehrsberuhigte und gepolsterte Zone ist, in der Kleinkinder und Senioren vor allen bösen Einflüssen der Welt, wie etwa Lärm und Schmutz, sicher sind. Über allem herrscht die große Mutti.
Doch die Sicherheit ist nur eine Illusion, die schnell von der Realität einer globalisierten Welt heimgesucht werden kann. Erschreckte Hobbits linsen vorsichtig durch den Türspion, nachdem es an der schweren Eingangspforte geklopft hat. Draußen stehen dunkle Gestalten in schmutzigen Kleidern, die Einlass begehren. Abenteurer!
Abenteurer sind stets Menschen auf der Flucht. Es lassen sich zwei Sorten unterscheiden. Die einen sind von einfachem Verstand und haben so lange monotone Computerspiele gespielt, Harz IV bezogen oder Shopping-queen und Dschungelcamp gesehen, bis tief in ihnen etwas kaputt gegangen ist. Wenn dann linke, rechte oder salafistische Hassprediger an sie herantreten und ihnen den Kampf für das Gute – inklusive Sex und Gewalt – versprechen, machen sie sich auf den langen und planlosen Marsch. Sie flüchten vor ihrem eigenen tristen Ich, das sich schämt, weil es auch nach zehn Jahren Schule noch nicht alle Buchstaben beherrscht. Die andere Gruppe besteht aus Menschen, die Not und Verfolgung – etwa durch die erste Gruppe – gezwungen haben, mit Sack und Pack, Kind und Kegel zu neuen Ufern aufzubrechen. Wenn sie je Mauern hatten, haben sie diese aufgeben müssen. Sie haben mit allen Sinnen und Emotionen Existenzangst, Hunger, Gefahr, Tod, Hitze und Kälte erlebt. Empfindungssterile Deutsche zahlen mitunter Geld, um solche Erfahrungen für einen kurzen Moment kennen lernen zu dürfen.
Hier stoßen zwei Welten aufeinander. Störende Fremdköper bedrohen all jene Greise und Babys, die doch in Ruhe schlafen möchten. Sie sprechen fremde Sprachen und bringen rückständige Weltanschauungen in den Garten Eden. Sie kennen keine Computer, sind gewalttätig und behandeln ihre Frauen wie Sklaven. Sie sind also etwa wie die Deutschen vor 50 Jahren. Schnell wird klar, dass es nur an ihrer Religion liegen kann, dass sie keinem unserer Standards genügen. Besonders die 1,24 Prozent, in denen sich diese von der unseren unterscheidet, sind höchst verdächtig.
Wundersamer Weise sind es besonders jene Süd- und Ostdeutschen, die einst nur widerwillig zu Bürgern der Bundesrepublik geworden sind, die nun entrüstet zur Tat schreiten. Bewaffnet mit Fackeln und Transparenten sorgen sie dafür, dass jeder erfährt, dass das Boot ja voll  und die – im Herzen immer verachtete, aber inzwischen bewährte – Demokratie durch Zuwanderung gefährdet sei. Was sollen wir mit Menschen, die nicht hinreichend ausgebildet, arm und zudem nicht bereit sind, sich uns sexuell hinzugeben, wie unsere thailändischen oder russischen Importehefrauen? Marodeure, die schon lange auf einen Anlass gewartet haben, sind im Begriff, das Bundeskristalljahr auszurufen. Endlich können die Deutschen ihre kulturelle Überlegenheit unter Beweis stellen. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.

Ich wünsche uns, dass nicht alle historischen Fehler erneut gemacht werden müssen, um zu besseren Menschen werden zu können.

Philipp Heine

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